Fulda Der Mann, der die Bahn das Fürchten lehrt

Fulda · Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), kann mit seiner kleinen Organisation die Republik empfindlich treffen. Gestern erneuerte er bei einem Aktionstag in Fulda seine Streikdrohung.

Ein wenig steif wirkt Claus Weselsky schon, als er frontal in die Kamera blickt und sich mit seinem stark sächsischen Akzent an die Zuschauer wendet. Das letzte Angebot der Deutschen Bahn sei eine "absolute Provokation", sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in einem Video-Podcast - spätestens seit Angela Merkels regelmäßigen Internet-Auftritten ein beliebtes Mittel bei so manchem Verbandsvertreter und Politiker. Die Bahn habe gezielt "eine Provokation vom Zaun gebrochen, um uns in Arbeitskämpfe zu treiben", sagt der 55-Jährige.

Dass dies die wohl bewegtesten Tage in der Karriere des Claus Weselsky sind - man kann es angesichts des roboterhaften Auftritts kaum glauben. Doch der Chef der gefürchteten Spartengewerkschaft, der mit gerade einmal 20 000 Lokführern einen Großkonzern und weite Teile der Republik ins Chaos stürzen kann, trägt gleich an zwei Fronten erbitterte Kämpfe aus: Auf der einen Seite wären da die Lohnverhandlungen bei der Deutschen Bahn. Auf ein Plus von 15 Prozent beziffert der Konzern das mehr als 20 Punkte umfassende Forderungspaket des gebürtigen Dresdners.

Auf der anderen Seite ist da sein Frontalangriff auf die Konkurrenz: Bislang waren sich GDL und die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) nicht in die Quere gekommen. Ein Grundlagentarifvertrag hatte klar geregelt, wer für wen verhandelt. Doch nach dessen Auslaufen will Weselsky mehr vom Kuchen und sich nicht mehr ausschließlich auf die Lokführer konzentrieren. Seine Forderung soll auch für die Zugbegleiter gelten. Für die EVG ist das nicht weniger als ein Affront. Sie hob den Fehdehandschuh auf und will nun ihrerseits für die Lokführer verhandeln. Der Bahn stehen bewegte Tage ins Haus.

Branchenkenner sagen, Weselsky habe sich im Laufe der Jahre gewandelt. Zunächst hatten viele aufgeatmet, als der Mann, der sich 1975 bei der Deutschen Reichsbahn zum Maschinenschlosser und später zum Lokführer ausbilden ließ, 2008 das Ruder bei der GDL übernahm. Sein Vorgänger Manfred Schell hatte in einem beispiellosen Arbeitskampf 2007/08 einen eigenen Tarifvertrag für die Lokführer der Deutschen Bahn durchgesetzt und dafür die Republik monatelang drangsaliert. Mit Weselsky, so die Hoffnung vieler, würde die GDL wieder mehr auf Sozialpartnerschaft und weniger auf Krawall setzen.

Tatsächlich wirkte es lange Zeit so, als könnte sich diese Hoffnung erfüllen. Zwar streikten auch unter dem neuen GDL-Chef die Lokführer für höhere Löhne und einen Branchentarifvertrag. Doch die Intensität der Schell'schen Konfliktjahre erreichten diese Arbeitskämpfe nie.

Nun lernt die Branche allerdings einen neuen Weselsky kennen, einen, der schon mit Streiks droht, obwohl so richtig noch gar nicht über höhere Löhne gesprochen wurde: "Wir sind dazu gezwungen zu streiken, wenn wir keine anderen Angebote von der Arbeitgeberseite bekommen", sagte er kämpferisch bei seinem gestrigen Auftritt in Fulda vor 400 Mitgliedern, die zu einem Aktionstag ins Kongresszentrum gekommen waren. "Wann es losgehen kann, entscheidet schlussendlich unsere Geduld und die Frage, ob die Bahn sich bewegt", fügte der GDL-Chef hinzu. Die Bahn müsse ihre "Verweigerungshaltung" aufgeben.

Tatsächlich dürfte sein Kalkül aber ein anderes sein: Mit einem aggressiven Auftritt und der Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der EVG will er den Kampfeswillen der GDL demonstrieren und so der Gewerkschaft neue Mitglieder zuführen - auf Kosten der Konkurrenz-Gewerkschaft.

Angesichts des Konflikts mit der EVG sagte Weselsky: "Wir führen keine Machtkämpfe. Wir führen eine Tarifauseinandersetzung." Die EVG hatte der GDL auf den Kopf zugesagt, dass es ihr nur um Einfluss gehe. Weselsky sagte, er freue sich schon auf die öffentliche Debatte darüber, ob eine kleine, aber gut organisierte Gewerkschaft per Gesetz eliminiert werden dürfe. Hintergrund dessen: Das Bundeskabinett will im Herbst die Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit beschließen.

(RP)
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