Interview mit BA-Vorstand Detlef Scheele "Jeder zehnte Flüchtling hat bald einen Job"

Berlin · Der neue Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sprich im Interview über die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Er sagt: "Wir gehen davon aus, dass zehn Prozent der arbeitsfähigen Flüchtlinge binnen eines Jahres in Beschäftigung sind."

 Bevor Scheele BA-Vorstand wurde, leitete er als Senator in Hamburg die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.

Bevor Scheele BA-Vorstand wurde, leitete er als Senator in Hamburg die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.

Foto: Angelika Warmuth

Wie viele Finanzmittel zusätzlich müssen Sie für die Flüchtlinge einplanen, die im Laufe des Jahres Empfänger von Hartz-IV-Leistungen werden?

Scheele Derzeit haben wir rund 100.000 Flüchtlinge im Bezug von Arbeitslosengeld II, sie erhalten den Regelsatz wie jeder andere auch. Wie viele hinzukommen, hängt davon ab, wie schnell die Asylverfahren abgeschlossen werden. Arbeitslosengeld II können nur anerkannte Flüchtlinge erhalten.

Mit welcher Größenordnung planen Sie denn?

Scheele Von den Flüchtlingen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, werden voraussichtlich 350.000 Erwerbsfähige Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Bei der Einbringung des Bundeshaushalts vergangenen November hat Frau Nahles fast zwei Milliarden Euro zusätzlich für 2016 in Aussicht gestellt.

In welchem Tempo können Sie Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren?

Scheele Wir gehen davon aus, dass zehn Prozent der arbeitsfähigen Flüchtlinge binnen eines Jahres in Beschäftigung sind. In weiteren fünf Jahren kann eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent erreicht werden. Über einen längeren Zeitraum steigt die Beschäftigungsquote dann nahe an die Grenze Einheimischer. Die liegt oberhalb von 70 Prozent.

Warum sind die letzten 20 Prozent so schwierig?

Scheele Wir müssen einen realistischen Blick auf die Lage haben. Es kommen auch ältere Menschen mit schlechteren Bildungsvoraussetzungen zu uns. Die Mehrheit der Flüchtlinge ist allerdings relativ jung. Für eine duale Berufsausbildung braucht man Sprachkenntnisse auf einem angemessenen Niveau, hinzu kommt eine eventuelle Ausbildungsvorbereitung, bevor die dreieinhalbjährige Ausbildung beginnt. Das können auch mal mehr als fünf Jahre werden.

In welchen Berufszweigen oder Branchen sehen Sie besonders gute Chancen für Flüchtlinge, eine Anstellung zu finden?

Scheele Ganz unabhängig von der Branche — ich finde: Geflüchtete Menschen sollen arbeiten können, denn eine Arbeit ist zunächst besser als gar keine. Es hat keinen Zweck, alle gleichermaßen durch eine langjährige Berufsausbildung zu bringen. Ältere Flüchtlinge sollten vielmehr Bildung und Arbeit kombinieren: Teilzeit arbeiten und sich berufsbegleitend weiterqualifizieren. Arbeit ist ein wesentlicher Teil der Integration. Sie bedeutet mehr als Gelderwerb. Durch Arbeit wird man Teil der Gemeinschaft, findet Anschluss in Sportvereinen und anderswo.

Brauchen wir Ein-Euro-Jobs, damit die Flüchtlinge einen leichten Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen?

Scheele In der Regel sollte der Einstieg über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gehen. Ein-Euro-Jobs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind Angebote der Kommunen. Sie sind aber richtig. Sie dienen der Vorbereitung auf ein geregeltes Arbeitsverhältnis, und die Flüchtlinge können sich damit selbst helfen, indem sie ihre Unterkunft reinigen oder reparieren.

Benötigen Sie auch für die Flüchtlinge mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II mehr Ein-Euro-Jobs?

Scheele Nein. Gegenwärtig würde ich nicht zu diesem Übergangsarbeitsmarkt für Flüchtlinge greifen. In erster Linie benötigen wir Integrationskurse, die bald nach der Einreise beginnen müssen. Ohne ausreichende Integrationskurse können die Jobcenter ihre Arbeit nicht machen. Die Einstiegskurse, welche die BA einmalig als Sprachangebot finanziert hat, werden wegen der deutlich höheren Teilnehmerzahlen von 232.000 statt der ursprünglich geplanten bis zu 100.000 voraussichtlich bis zu 400 Millionen Euro Ausgaben verursachen.

Haben Sie genug Personal für die Vermittlung arbeitsfähiger Flüchtlinge?

Scheele Ja. Die Bundesregierung hat uns für 2016 zusätzlich 2800 Stellen genehmigt. Die sind mittlerweile auch alle eingestellt und werden gerade qualifiziert. Wenn jetzt im zweiten Quartal mehr Flüchtlinge ins Arbeitslosengeld II kommen, dann sind wir gut aufgestellt. 16 Prozent unserer Beschäftigten haben einen Migrationshintergrund.

Gibt es Konkurrenz um Jobs zwischen Flüchtlingen und Einheimischen?

Scheele Wie gesagt: Von den Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind, erwarten wir 350.000 als zusätzliche Erwerbsfähige. Bei 43 Millionen Beschäftigten ist das weniger als ein Prozent. Da sehen wir keine generelle Konkurrenz durch die Flüchtlinge am deutschen Arbeitsmarkt. Im Einzelfall kann es mal anders aussehen, etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe. Aber mir ist gerade vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Übergriffe auf Migrantinnen und Migranten in Sachsen wichtig zu sagen: Wer auf die Straße geht und ruft "Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg", hat schlicht Unrecht.

BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(mar / qua)
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