Interview mit Bahn-Chef Rüdiger Grube "Unser Preissystem ist nicht auf Anhieb zu verstehen"

Düsseldorf · Bahn-Chef Rüdiger Grube spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Ziele der Deutschen Bahn, Pünktlichkeit, die Komfort-Offensive und die Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Zudem erklärt er, dass zwölf von 270 sanierungsbedürftigen Brücken in NRW in diesem Jahr in Angriff genommen werden.

 Bahn-Chef Rüdiger Grube im Gespräch mit unserer Redaktion.

Bahn-Chef Rüdiger Grube im Gespräch mit unserer Redaktion.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Warum sind Sie nicht in Davos?

Grube Das Weltwirtschaftsforum ist für mich nicht erste Priorität. Ich habe zur Zeit andere Aufgaben.

Welche sind zur Zeit Ihre wichtigsten?

Grube Im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen die Kunden. Daher sind meine obersten Prioritäten die Verbesserung von Pünktlichkeit und Komfort unserer Züge.

Wegen genau dieser Punkte wird die Bahn am häufigsten kritisiert…

Grube Wir nehmen jede Kritik ernst, aber sie trifft nicht immer zu. Die überwältigende Mehrheit unserer täglich 25.000 Personenverkehrszüge ist pünktlich. Im Jahresdurchschnitt 2014 erreichten 94,5 Prozent unserer Züge ihr Ziel mit weniger als 6 Minuten Verspätung. Im Fernverkehr lagen wir bei der Pünktlichkeitsquote mit 76,5 Prozent unter unserem selbst gesteckten Ziel. Zur Zeit fahren wir aber wieder über 80 Prozent Pünktlichkeit, damit sind wir schon zufrieden. Wir haben herausgefunden, dass die häufigsten Ursachen für Verspätungen in bundesweit zehn Bahnknotenpunkten entstehen. In NRW gehört dazu der Kölner Knoten mit der Hohenzollernbrücke, das ist die meistbefahrene Eisenbahnbrücke in Europa.

Und was unternehmen Sie, um noch pünktlicher zu werden?

Grube Wir haben verstanden, dass neben einigen wichtigen Großprojekten vor allem die Qualität des bestehenden Netzes durch viele kleinere Maßnahmen in der Fläche verbessert werden muss. In NRW wollen wir bis 2019 knapp drei Milliarden allein ins bestehende Netz investieren. Im laufenden Jahr nehmen wir hier rund 600 Millionen Euro in die Hand. Die Rhein-Ruhr-Region ist der größte und wichtigste Verkehrsknotenpunkt in Europa. Entsprechend gibt es hier Engstellen, die wir auflösen müssen. Zudem ist es wichtig, dass die Infrastruktur bestens in Schuss ist. In NRW fließen im laufenden Jahr rund 580 Millionen Euro in 440 Weichen, 720 Kilometer Schienen, zwölf Brücken und 163.000 Schwellen.

Als zweite strategische Aufgabe haben Sie den Komfort genannt. Warum muten Sie ihren Kunden ein so kompliziertes Preissystem zu?

Grube Ich gebe zu: Unser Preissystem ist für Gelegenheitsfahrer und neue Kunden nicht immer auf Anhieb zu verstehen. Aber bei sechs Millionen Bahnfahrern pro Tag haben Sie auch sehr viele unterschiedliche Reisewünsche und Preisvorstellungen. Dem muss ein Preissystem Rechnung tragen. Alle Verkehrsträger sind bemüht, auslastungsabhängige Preise anzubieten: Teurere Tickets zu gefragten Zeiten, günstigere, wenn kaum jemand fährt. Daran kommt auch die Bahn nicht vorbei. 90 Prozent aller Tickets im Fernverkehr sind bei uns rabattiert, im Regionalverkehr über 80 Prozent. Und so ist die Komplexität im Laufe der Jahre immer weiter gewachsen. Den vollen Preis zahlt kaum jemand, darauf bezieht sich aber immer die Kritik an zu hohen Preisen.

Und was tun Sie dagegen?

Grube Wir werden dem Aufsichtsrat am 18. März ein weiterentwickeltes Fernverkehrs-Konzept vorstellen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bahncard attraktiver werden und keinesfalls abgeschafft. Denkbar ist, dass beispielsweise Vielfahrer von zusätzlichen Rabatten profitieren können. Generell wollen wir Bahnfahren attraktiver machen. Mit kostenlosem WLan in der 1. Klasse und Sitzplatzreservierung inklusive haben wir ja im Dezember schon erste Neuerungen eingeführt.

Und was tun Sie für den Komfort in der zweiten Klasse?

Grube Im Laufe des Jahres 2016 wird es dort im ICE auch kostenloses WLan geben.

Erst ab 2016? Das gibt es doch heute schon in jeder Pommesbude…

Grube In der Bahn ist das aber technisch schwieriger, die Pommesbude fährt nicht mit 200 oder mehr Stundenkilometern durchs Land! Die Waggons sind mit einer dünnen Metallschicht gegen Hitzeeinstrahlung von außen geschützt. Die müssen sie funktechnisch überwinden. Für stabile Telefon- und Internetnutzung im Zug müssen daher moderne Verstärker eingebaut werden. Diese Technik gibt es noch nicht so lange und ist in der Größenordnung, in der wir sie brauchen, erst ab 2016 verfügbar. Deshalb sind die Forderungen von Bundesverkehrsminister Dobrindt nach mehr Internet in Regional- und S-Bahn-Zügen natürlich nachvollziehbar, aber woher die Investitionen in hoher dreistelliger Millionenhöhe kommen sollen, ist noch offen. Hier haben auch die Aufgabenträger bzw. die Verkehrsverbünde eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. Mit den Telekommunikationsunternehmen arbeiten wir bereits an einer schnellstmöglichen Lösung.

Schaffen Sie bei Ihrer Komfort-Offensive auch die komplizierten Fahrkartenautomaten ab?

Grube Viele Automaten sind heute bereits einfacher zu bedienen als viele behaupten. Die Digitalisierung kommt uns auch zur Hilfe. Über 30 Prozent aller Buchungen werden heute online oder mobil getätigt, im Fernverkehr sind es bereits über 50 Prozent. Vor zwei Jahren war der Automat noch mit Abstand unser wichtigster Verkaufskanal.

Wie marode sind die Bahn-Brücken in NRW?

Grube Wir haben gut 4000 Brücken in NRW. 270 müssen saniert werden, zwölf nehmen wir in diesem Jahr in Angriff.

Nur zwölf?

Grube Wir haben bundesweit einen Investitionsstau, den bauen wir ab, aber das können wir nicht alles auf einmal machen — schließlich müssen ja auch die Züge noch rollen. Und das Geld dafür muss auch verdient werden — wie wir es jüngst mit unserem Eigentümer, dem Bund, vereinbart haben. Der Bund gibt uns mehr Geld für die Infrastruktur, aber einen großen Teil des vereinbarten Modernisierungsprogramms müssen wir auch selbst liefern — gut 11 von 28 Milliarden Euro sind Mittel der Bahn, knapp 17 Milliarden übernimmt der Bund.

Besteht Einsturzgefahr?

Grube Selbstverständlich nicht. Unsere Passagiere nutzen das sicherste Transportmittel, das es gibt. Es wird keine Bahnbrücke einstürzen. Wir werden 2015 in Deutschland an manchen Tagen bis zu 850 Baustellen haben. Das wird auch die Kunden belasten — das muss man ehrlich sagen.

Und was ist mit den Bahnhöfen?

Grube Wir haben bundesweit 5400 Bahnhöfe, 692 davon in NRW. Wir modernisieren jedes Jahr bundesweit über 100 Bahnhöfe. Das dauert. In NRW geben wir 2015 rund 137 Millionen Euro für die Modernisierung von Bahnhöfen aus.

Wie gefährlich sind die Fernbusse für Sie?

Grube Ich habe nichts gegen Fernbusse. Wir sind ja selbst Fernbus-Anbieter. Aber wir leiden unter den Wettbewerbsverzerrungen. Wenn ein ICE auf der Schiene ist, muss er im Schnitt knapp 6 Euro Trassengebühr, also Maut bezahlen. Der Fernbus zahlt nicht einen Cent Maut.

Wie entwickelt sich der Fernbus-Markt?

Grube Es gibt derzeit eine Konsolidierung der Anbieter. Die Zeit der Dumping-Preise geht damit zu Ende. Ich bin neulich inkognito bei einem Bus der Konkurrenz mitgefahren. Das Ticket von Hamburg nach Berlin für rund 300 km kostete zwölf Euro. Ich weiß, dass der Bus pro Kilometer 1,50 Euro kostet. Wie soll das gehen?

Seit Januar sind Sie der neue Chef des ehemaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla. Was ist seine erste Aufgabe?

Grube Ich habe im letzten Jahr an 70 Treffen mit Parlamentariern teilgenommen. Brüssel wird immer wichtiger. Wir brauchen jemanden, der sich da hauptberuflich drum kümmert. Die Nachteile, die uns die europäische Politik im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern zumutet, müssen deutlich gemacht werden. Wir sind zum Beispiel der einzige Verkehrsträger, der seine Kunden bei höherer Gewalt entschädigen muss. Das ist auch in Ordnung gegenüber den Kunden. Aber es ist ein Nachteil für uns im Wettbewerb, und zwar nur einer von vielen. Pofalla ist da der beste Mann, um hier für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Aber ich gebe zu, dass wir Anfang 2014 die Personalie nicht glücklich kommuniziert haben.

Bedroht der gewachsene Terror in Europa auch die Bahnkunden?

Grube Das Thema ist natürlich in erster Linie eines für die Sicherheitsbehörden. In unserem Bahnsicherheitszentrum arbeiten wir sehr eng mit der Bundespolizei zusammen. Richtig ist, die Sicherheitsmaßnahmen wurden hochgefahren, aber bislang haben wir keine konkreten Hinweise auf Bedrohungen durch Terroristen erhalten.

Die GDL hat sich auf mehrere Verhandlungstermine mit Ihnen eingelassen. Rüstet Claus Weselsky nach dem konfliktreichen Herbst jetzt ab?

Grube Ich fand das sehr vernünftig, dass sich die GDL vor Weihnachten auf eine Einmalzahlung von 510 Euro für 2014 eingelassen hat und sich mit uns auf weitere Verhandlungen für 2015 verständigt hat. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Gespräche jetzt konstruktiver führen als bislang. Ich appelliere an Vernunft und Verhältnismäßigkeit, die GDL hat ein Forderungspaket, das sich auf deutlich über 10 Prozent summiert. Aber noch einmal: Wir reden jetzt endlich über Inhalte.

Das hätten Sie früher haben können. Schließlich hat sich die Bahn doch lange geweigert, mit der GDL über andere Berufsgruppen als die Lokführer zu reden.

Grube Das stimmt nicht. Unser Ziel ist und bleibt, dass wir nicht unterschiedliche Tarifverträge für ein- und dieselbe Berufsgruppe bekommen. Wie sollen Sie Schichtpläne bauen, wenn die Mitarbeiter unterschiedliche Wochenarbeitszeiten haben? Alle Vorschläge, wie beide Gewerkschaften am Verhandlungstisch kooperieren könnten, sind rundheraus abgelehnt worden. Deshalb versuchen wir jetzt, mit beiden Gruppen einheitliche Ergebnisse hinzubekommen. Eine Spaltung der Belegschaft wollen wir nicht und können wir uns auch nicht leisten.

Sie lassen Ministerin Andrea Nahles also das Gewerkschaftschaos in Ihrem Hause beheben.

Grube Nochmal: Wir haben immer gesagt, wir wollen eine einvernehmliche Lösung mit den beiden Gewerkschaften am Verhandlungstisch. Es ist immer die bessere Lösung gegenüber einem Gesetz. Wir brauchen ja eine belastbare, zukunftsfeste Partnerschaft und die ist immer besser, wenn sie auf einem Vertrag beruht und nicht abgeleitet wird aus einem Gesetz.

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