Lutz Goebel "Deutschland bekommt italienische Verhältnisse"

Der Präsident des Verbands der Familienunternehmer zur Digitalisierung und den Sorgen der Betriebe.

Krefeld Wir erreichen Lutz Goebel, Chef des Verbands der Familienunternehmer, am Flughafen. Er fliegt zum ersten Mal ins Silicon Valley.

Sind die Familienunternehmen fit für die Digitalisierung?

Goebel Manche schon, aber nicht alle erkennen den Ernst der Lage. An der Digitalisierung kommt keiner vorbei, selbst bei Dienstleistern kann man vieles digitalisieren. Im Handel ist der Prozess bereits im vollen Gange. Viele Einzelhändler werden Amazon nicht überleben.

Was muss die Politik tun?

Goebel Der Staat ist für die Infrastruktur verantwortlich, auch für die digitale. Wir brauchen auf dem Land schnelles Internet, und wir brauchen überall Glasfaser statt der alten Kupferkabel der Telekom. Auch beim eGovernment hinkt Deutschland hinterher: Jede Behörde hat ihr eigenes IT-System. Das bedeutet unnötigen Aufwand für Bürger und Betriebe.

Sie geben nach sechs Jahren das Zepter beim Verband ab. Ihre Bilanz der großen Koalition im Bund?

Goebel Die große Koalition hat die Chance, etwas Großes zu bewegen, nicht genutzt. Stattdessen hat Sozialministerin Nahles die Rente mit 63 eingeführt, was die Fachkräfte aus den Betrieben saugt, und die Konditionen für Zeitarbeiter verschlechtert. Deutschland bekommt italienische Verhältnisse am Arbeitsmarkt. Der Boom überdeckt dies noch.

Nahles will Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen. Was halten Sie davon?

Goebel Nichts. Wir müssen Selbstständige zu mehr Vorsorge bringen, um Altersarmut zu vermeiden. Doch wir sollten sie nicht in ein System zwingen. Warum sollen sie nicht privat vorsorgen?

Die Wirtschaftsweisen denken über die Rente mit 70 nach. Was sagen Sie?

Goebel Wir müssen wegkommen von starren Altersgrenzen und der ewigen Diskussion darüber. Wir brauchen eine flexible Altersgrenze, die sich automatisch an die steigende Lebenserwartung anpasst. Dann wird die Rente mit 70 automatisch kommen. In meinem Unternehmen, der Krefelder Henkelhausen, haben wir einen 77-jährigen Techniker. Er arbeitet 60 Prozent und kümmert sich weltweit um Schiffsmotoren. Ein echtes Ass.

Nun wählt NRW. Welches Zeugnis stellen Sie der Regierung Kraft aus?

Goebel Die Versetzung ist gefährdet. Aus dem Wirtschaftswunderland wurde Mittelmaß, in vielen Bereichen ist NRW Schlusslicht. Ein Trauerspiel. Hannelore Kraft setzt auf Sozial- statt Wachstumspolitik und lässt zu, dass ihr grüner Umweltminister der Wirtschaft einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine wirft.

Was muss die neue Regierung tun?

Goebel Mehr Investitionen in Infrastruktur, Breitbandausbau, Bildung. Was wir nicht brauchen: Noch mehr Bürokratie und eine Vermögensteuer, wie sie Finanzminister Walter-Borjans will. Diese Substanzsteuer würde Betriebe aus dem Land treiben. Wir Familienunternehmer sehen mit Sorge, dass Frau Kraft eine Koalition mit der Linkspartei offen hält. Rot-Rot-Grün wäre eine Katastrophe für die jetzt schon schlechte Wirtschaftspolitik.

ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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