Interview mit DGB-NRW-Chef Andreas Meyer-Lauber "500.000 neue Jobs in NRW bis 2020"

Düsseldorf · Der DGB-Chef von NRW, Andreas Meyer-Lauber spricht im Interview über marode Infrastruktur, Maut-Häuschen auf den Rheinbrücken und den Ausbildungskonsens.

 Andreas Meyer-Lauber mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Andreas Meyer-Lauber mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Foto: dpa, fg kno

Der Deutsche Gewerkschaftsbund stellt am Montag sein "Memorandum NRW 2020" vor. Darin zeichnet er ein düsteres Bild des bevölkerungsreichsten Bundeslandes: Einkommensungleichheit, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und eine marode Infrastruktur.

Was steckt hinter Ihrem Memorandum NRW 2020?

Meyer-Lauber Der DGB und seine Gewerkschaften wollen wirtschaftliche Impulse liefern, um den Arbeitsmarkt voranzubringen und mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in NRW zu schaffen. Wir sind uns sicher: Wenn Politik, Unternehmen, Wissenschaft und Gewerkschaften sich jetzt ernsthaft zusammensetzen und an einem Strang ziehen, können bis 2020 rund 500.000 qualifizierte Jobs in NRW entstehen. Diesen Prozess wollen wir anstoßen und moderieren.

Was ist genau geplant?

Meyer-Lauber Für mehr gute Arbeitsplätze in NRW setzen wir vor allem auf mehr Innovationen und Investitionen. Wie wir diese erreichen, werden wir mit Politik und Wirtschaft — etwa mit Unternehmern und kommunalen Wirtschaftsförderern — diskutieren und Anregungen liefern. Schon 2017, also vor Landtags- und Bundestagswahl, werden wir eine erste Bilanz ziehen. Flankiert wird der Prozess durch Wissenschaftler, die untersuchen, wie die NRW-Wirtschaft noch innovativer werden kann.

Wenn man sich das Memorandum ansieht, bekommt man aber den Eindruck, NRW sei unrettbar.

Meyer-Lauber NRW ist ein starkes Bundesland und ein bedeutender Wirtschaftsstandort. Es gibt aber noch viele Potenziale, die es zu schöpfen gilt. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft liegt aus Sicht der Gewerkschaften in mehr Beschäftigung. Wir werben für massive öffentliche und private Investitionen, um mehr gute Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose, Minijobber, Migranten und Frauen zu schaffen. Damit könnten wir das soziale Auseinanderdriften ganzer Regionen stoppen.

Erstaunlich kurz kommt im Memorandum das Thema "desolate Haushaltslage". Woher soll das Geld für staatliche Investitionen stammen?

Meyer-Lauber Abgesehen davon, dass die Schuldenbremse ökonomischer Irrsinn ist, hat der Bund trotzdem einen Finanzierungsspielraum von mehr als zehn Milliarden Euro. Den muss er ausschöpfen. Der Staat kann sich im Augenblick für fünf Jahre zinslos Geld leihen. Jetzt nichts zu tun, wäre absurd. Ökonomen sagen, wenn wir einen Euro in die Infrastruktur stecken, folgen 1,20 Euro an privaten Investitionen - weil etwa neue Industriegebiete verkehrstechnisch gut angeschlossen sind.

Mehr Geld für Straßen als Lösung für alle Probleme? Klingt zu einfach.

Meyer-Lauber Unsere Infrastruktur stammt noch aus den 70er Jahren. Zahlen wir nicht schnell für den Erhalt von Straßen, Wasserwegen, Eisenbahnstrecken und Pipelines, droht der Kollaps. Es kann doch nicht sein, dass eine marode Brücke auf der A1 die Wirtschaft dauerhaft schädigt. Abgesehen davon, dass die Bayern so schlau waren, schon vor Jahren ein Gros der Straßen in Bundesstraßen umzuwidmen, muss deren hartnäckige Lobby in Berlin gebrochen werden. Die rot-grüne Landesregierung muss sich noch stärker dafür einsetzen, dass Bundesmittel in die NRW-Infrastruktur fließen. Und wir benötigen mehr Anstrengungen im Bildungssektor.

Sie pochen auch auf mehr private Investitionen. Benötigen wir den Henkel-Hörsaal, den Bayer-Autobahnabschnitt und die JVA, gesponsert von 3M?

Meyer-Lauber Wir wollen keine Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Es wäre doch grober Unfug, wenn wir demnächst auf einer kommunalen Rheinbrücke in Düsseldorf Maut-Häuschen aufstellen. Das wäre aber nötig, wenn man sich private Investoren wie etwa Versicherungen für öffentliche Infrastrukturprojekte ins Boot holt. Denn die erwarten eine Rendite von bis zu sieben Prozent.

Außerdem fordern Sie Verbesserungen bei der Arbeitsmarktpolitik.

Meyer-Lauber Einem Langzeitarbeitslosen das x-te Bewerbungstraining zu vermitteln, bringt gar nichts. Unternehmen und Bundesagentur müssen echte Aus- und Weiterbildung finanzieren. Und wir dürfen nicht zulassen, dass in das Hartz-IV-System eine neue Generation hineinwächst. Fast 20 Prozent der jungen Leute zwischen 25 und 34 haben keine Berufsausbildung.

Ist der Ausbildungskonsens in NRW gescheitert?

Meyer-Lauber Wir sind extrem unzufrieden, denn jedes Jahr haben wir 20 000 junge Menschen, die in der Erstausbildung keinen Platz bekommen. Die Zahl der Ausbildungsplätze muss mindestens um zehn Prozent steigen, um überhaupt vom Fleck zu kommen. Deshalb brauchen wir endlich verbindliche Zusagen der Arbeitgeber. Es muss noch in diesem Jahr etwas passieren, sonst scheitert das Projekt.

Sie fordern zudem eine politische Korrektur der Einkommensverteilung. Wem wie nehmen, und wem in welcher Form geben?

Meyer-Lauber Auch in NRW steht ein Prozent der Bevölkerung, also 180 000 Menschen, für nahezu 40 Prozent aller Vermögen. Das zerreißt die Gesellschaft und wird zu einem echten Demokratieproblem. Um eine echte Reform von Vermögens- und Erbschaftsteuer werden wir nicht herumkommen.

Die Vorschläge bleiben alle recht vage. Klingt ein wenig nach dem Motto: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis.

Meyer-Lauber Mark Twain hat mal gesagt: "Als wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen." Genau dazu darf es nicht kommen. Wir nehmen 500.000 neue Arbeitsplätze bis 2020 ins Visier und laden zum Dialog ein, wie wir dieses Ziel erreichen können.

Maximilian Plück führte das Interview.

(maxi)
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