Basel Die erste Frau im Bayer-Vorstand ist eine Mann

Basel · Nach 150 Jahren rückt mit Erica Mann erstmals eine Frau an die Spitze. Die Südafrikanerin hat bereits auf vier Kontinenten gearbeitet, mag Bungee-Jumping und ihre Söhne. Nun soll das Geschäft mit rezeptfreien Arzneien so dynamisch werden wie sie selbst.

Nein, von Thomas Mann hat sie noch nichts gelesen und von seiner Tochter Erika auch nichts, sagt die Bayer-Managerin. Keine Zeit. "Aber jetzt, wo die Deutschen immer danach fragen, sollte ich es vielleicht nachholen", ergänzt sie. Sie - das ist Erica Mann, die zum 1. Januar als erste Frau in den Vorstand der Bayer AG einziehen wird. Dort ist sie für das Milliarden-Geschäft mit verschreibungsfreien Arzneimitteln zuständig. Und auch wenn sich ihr Name so anhört, als sei sie ein Spross der Lübecker Literatenfamilie, hat Erica Mann doch wenig mit Deutschland zu tun. Schon vor Generationen seien ihre deutschen Vorfahren nach Südafrika ausgewandert. Wo genau sie herkommen, weiß die 57-Jährige nicht einmal. "Die deutsche Sprache ist in der Familie leider verloren gegangen", sagt sie.

Heimat ist für sie keine relevante Kategorie. "Wo ich zuhause bin?", fragt sie beinah ungläubig. "Ich habe ein Haus in Sydney, Weihnachten feiere ich bei meiner Mutter in Südafrika." Für ihre Karriere ist Erica Mann rund um die Welt gezogen. Im südafrikanischen Vereeniging wurde sie 1958 geboren, in Südafrika hat sie auch Chemie und Marketing studiert. Sie begann ihre Karriere als Pharmareferentin, das hieß Klinkenputzen für den Pharmakonzern Eli Lily. Später wechselte sie zum Konkurrenten Wyeth, der sie nach Australien schickte. Hier gründete sie ihre Familie, hier wuchsen ihre beiden Söhne auf. Als der US-Konzern Pfizer Wyeth übernahm, ging es in die USA und damit auf den dritten Kontinent. 2011 wechselte sie zu Bayer. Als Chefin der Bayer-Sparte Consumer Health, die ihren Sitz von nun an in Basel hat, geht es in die Schweiz, auf Kontinent Nummer vier.

Die Mitarbeiter duzen sie - von der Empfangsdame bis zum Vorstandvorsitzenden Marijn Dekkers, wie es in internationalen Konzernen üblich ist. "Erica ist ehrgeizig, auf Fakten konzentriert und doch nahbar", sagte eine Kollegin der Managerin, "wir sind stolz auf sie."

Bei aller professionellen Freundlichkeit - es muss stets voran gehen und das wissen die rund 11.600 Mitarbeiter. "Ich bin sehr ungeduldig", sagt Mann. Die Sparte müsse auf allen Märkten mindestens unter den Top drei sein: "Am liebsten natürlich die Nummer eins." Derzeit ist Bayer hinter dem Schweizer Konzern No-vartis die Nummer zwei auf dem hart umkämpften Markt für verschreibungsfreie Medikamente. Durch den jüngst angekündigten Deal zwischen Boehringer und Sanofi entsteht allerdings ein neuer Riese, der Bayer wieder auf den dritten Rang verweisen könnte. Mann sagt: "Auch ich bin immer an Zukäufen interessiert."

Viele ihrer Produkte sind seit langem am Markt: Aspirin (115 Jahre), Bepanthen (70 Jahre) und Canesten (42 Jahre). Hohe Preise wie bei innovativen Arzneien sind nicht drin. Daher muss die Sparte in neue Regionen vordringen oder neue Varianten der Produkte auflegen. Zum Beispiel ist Deutschland für Bayers meist verkaufte rezeptfreie Medikament, das Allergiemittel Claritin, noch ein weißer Fleck auf der Karte. Bei Bepanthen gibt es neben der klassischen Wundsalbe inzwischen auch Augensalbe und vieles mehr. Dabei stellt Bayer hier nicht mal selbst den Wirkstoff (Dexpanthenol) her, der kommt vom niederländischen Konzern DSM. Bayer mischt ihn in seiner Reinraum-Fabrik in Grenzach, kurz vor Basel, "nur" mit anderen Zutaten (wie Paraffin- und Mandelöl) zusammen.

Für den gesamten "OTC-Markt" ("over the counter", verschreibungsfreie Arznei) gilt: Mit viel Marketingaufwand müssen die Präparate in den Markt gedrückt und im Markt gehalten werden. Mitarbeiter sagen, je nach Produkt entfallen 20 bis 40 Prozent des Umsatzes auf Marketingkosten. Für Forschung sind es nur drei bis fünf Prozent. Die Managerin ist überzeugt, dass der OTC-Markt weiter wächst. "Jede Mutter, die nachts um vier Uhr von ihrem fiebernden Kind geweckt wird und am nächsten Morgen zur Arbeit muss, ist doch froh, wenn sie Arznei im Haus hat." Die Working Mum als Werbeträgerin für ihre Produkte.

Ihre Söhne sind heute groß und studieren. Der eine war jüngst auf Rucksack-Tour in Europa. Weil er Fußball toll findet, hat die Mutter ihn zu einem Spiel von Bundesligist Bayer 04 Leverkusen eingeladen. Sie selbst interessiert sich nur berufsbedingt für die Werkself. Anders ist das beim Bungee-Jumping: Das hat sie begeistert mit ihren Söhnen unternommen.

Ihr Bereich soll im kommenden Jahr zu einer von drei Sparten bei Bayer aufsteigen und den Sitz in Basel haben. Im Schatten der Roche-Zentrale (fast 40 Stockwerke) steht das fünfstöckige Haus von Bayer Consumer Health. Bayer hatte 2005 das OTC-Geschäft von Roche übernommen, wodurch Bepanthen und das Magenmittel Rennie nach Leverkusen kamen. Vor zwei Jahren kaufte Bayer den Hersteller Steigerwald (Iberogast) dazu, im vergangenen Jahr dann die OTC-Sparte des US-Phamakonzerns Merck (Claritin, Dr. Scholl's).

Dass sie zum 1. Januar 2016 auch als erste Frau in den Vorstand des 150 Jahre alten Konzerns aufsteigt, sei für sie eine "große Ehre und Herausforderung", sagt Erica Mann. Für Bayer sei das auch ein Signal. "Jetzt können andere Frauen sehen, dass es geht." Ihr Rat an andere Frauen: "Sei du selbst! Denk positiv! Glaub an dich!". So zuversichtlich würde eine Mann aus Lübeck wohl nie reden.

(anh)
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