"Die Euro-Zone wird zur Haftungsgemeinschaft"

Interview Der Chef des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts Thomas Straubhaar lobt die Beschlüsse des Gipfels

Reichen die Maßnahmen?

Straubhaar Ja. Es gibt nun die reelle Chance, dass der Euro gerettet wird. Jetzt ist klar geworden, dass die Euro-Länder nicht zusehen werden, wie ein einzelnes Mitglied in die Pleite abgleitet. Allerdings wird sich dadurch Europa verändern, selbst wenn man sich in Deutschland mit Händen und Füßen dagegen wehrt: Was beschlossen wurde, ist der Einstieg in eine Haftungsgemeinschaft der Euro-Länder. Die Schulden eines einzelnen Landes werden damit im Notfall zu Schulden aller Länder.

Wodurch wird die europäische Haftungsgemeinschaft konkret besiegelt?

Straubhaar Indem der Rettungsschirm EFSF das Recht erhält, Anleihen einzelner, bedrohter Euro-Staaten am Markt aufzukaufen, wird das Risiko der Verschuldung dieser Staaten vergemeinschaftet und zwar nicht ausnahmsweise, sondern künftig immer wieder.

Was ist wichtiger – der Ausbau des EFSF oder die Beteiligung der Banken?

Straubhaar Die Gläubigerbeteiligung hat nur symbolischen Charakter. Sie ist eine Nothilfe, eine Einmalmaßnahme, um die Rettungsmilliarden für Griechenland politisch verkäuflich zu machen. Dagegen sind die erweiterten Rechte für den EFSF und später auch für den dauerhaften Rettungsschirm ESM von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Euro-Zone: Es ist nun ein für allemal klar, dass, wenn ein Land bedroht ist, die Euro-Gemeinschaft für es eintritt. Das entzieht der Spekulation gegen den Euro den Boden. Wir können an den historischen Beispielen der USA und der Schweiz sehen: Jede Währungsunion ist zur Haftungsunion geworden. Das passiert nun auch in der Europäischen Währungsunion.

Deutsche Steuerzahler müssen also für unsolide Staaten gerade stehen?

Straubhaar Das ist so. Man muss den Deutschen klar sagen: Das ist der Preis dafür, dass ihr den Euro habt und dafür, dass Friede, politische Stabilität und ein gemeinsamer Binnenmarkt bestehen bleiben.

Das sagt die Bundeskanzlerin den Menschen aber nicht so offen!

Straubhaar Auf Frau Merkel kommen innenpolitisch grausam harte Zeiten zu: Ihr wird der Wind mächtig entgegen blasen, wenn die Menschen erst richtig verstanden haben, was hier beschlossen wurde. Doch die Kanzlerin ist immer wieder durch die normative Kraft des Faktischen überrollt worden. Sie musste ihre Positionen immer wieder räumen, weil es eben diese Eigendynamik in der Währungsunion gibt. Es gibt nur eine einzige Alternative zum Gipfelbeschluss: Das Scheitern des Euro. Dieser Preis wäre aus deutscher Sicht zu hoch.

Birgit Marschall stellte die Fragen.

(RP)
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