Düsseldorf Die ganze Welt im Steuerwettlauf

Düsseldorf · Das Rennen beschleunigt sich: Großbritannien will mit niedrigeren Sätzen die Brexit-Folgen abmildern, Österreich die Körperschaftsteuer senken. Schweden lockt mit fast null Euro Steuern auf den Energieverbrauch in Rechenzentren.

Manchmal muss man für die Zukunft Opfer bringen. Der amerikanische Pharmakonzern Johnson & Johnson beispielsweise zahlt nach der Verlagerung seiner Beteiligungs-Holding von Neuss in die österreichische Hauptstadt Wien einmalig knapp 152 Millionen Gewerbesteuer an die Stadt Neuss, aber dafür in Österreich künftig vermutlich deutlich weniger Unternehmenssteuern als in Deutschland (unsere Redaktion berichtete gestern über den Fall). Die Stadt Neuss könnte dank des Geldsegens auf einen Schlag schuldenfrei sein, verliert aber einen potenten Gewerbesteuerzahler - das ist die Kehrseite der Medaille.

Die Johnson & Johnson-Praxis ist kein Einzelfall und auch nichts Neues. Steuerparadiese wie Irland, in denen sich Apple, Amazon und Co. hohen Steuerzahlungen in anderen Ländern entziehen, sind schon seit Jahren ein Aufreger und für die Europäische Union Anlass, sich in Sachen Steuern mit den amerikanischen Multis anzulegen. Das Fass zum Überlaufen brachte Apple, als der iPhone-Konzern Gewinne so verschob, dass statt der ohnehin schon niedrigen Körperschaftsteuer in Irland (12,5 Prozent) auf der grünen Insel nur noch ein Prozent Steuern gezahlt wurden. Die EU sprach von Beihilfe Irlands an Apple und forderte Rückzahlungen der Amerikaner an Dublin.

So weit die jüngere Vergangenheit. Neu ist jetzt, dass sich der Steuerwettlauf rund um den Globus wegen politischer Veränderungen zu beschleunigen scheint. Die britische Premierministerin Theresa May, so wird spekuliert, könnte nach dem EU-Austritt die Unternehmenssteuern auf den niedrigsten Stand der führenden 20 Industrieländer (G 20) senken; die Körperschaftsteuer könnte auf weniger als 15 Prozent fallen. In Österreich, wo die Gewerbesteuer schon seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr existiert, sorgt eine mögliche Verringerung der Körperschaftsteuer von 25 auf höchstens 20 Prozent für politische Diskussionen. Umgekehrt droht US-Präsident Donald Trump mit höheren Steuern und Zöllen für Firmen, die nicht in den Vereinigten Staaten produzieren.

Amazon wiederum hat sich gerade bei der Wahl eines gewaltigen Datenzentrums für den Standort Stockholm entschieden, nachdem die Schweden die Steuern auf den Energieverbrauch für solche Einrichtungen um 97 Prozent gesenkt haben - in der modernen Wirtschaftswelt zählen nicht nur günstige industrielle Produktionsbedingungen, sondern auch der ungehinderte weltweite Datenfluss. Und der Wettlauf setzt sich im Privaten fort: In Italien, einem der größten Sorgenkinder Europas, dem die Anleger aus Angst vor der Reformunfähigkeit des Staates davonlaufen, versucht man, Reiche mit einem Höchststeuersatz von 100.000 Euro ins Land zu locken. Dafür muss man nicht mal vermögend sein - in Deutschland reicht ein Jahreseinkommen von rund 300.000 Euro.

Was die Firmensteuern angeht, warnen Experten vor den Folgen eines solchen Wettlaufs. "In der EU kann es Steuerwettbewerb geben, aber er muss in klaren Grenzen verlaufen, mit einem Mindeststeuersatz. Sonst kommt es zu Missbrauch: Einer profitiert auf Kosten der anderen, so wie Irland das vorgemacht hat", forderte zuletzt Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. Das Credo der Kritiker: Die Europäische Union und der gemeinsame Binnenmarkt können nur funktionieren, wenn Steueroasen ausgetrocknet und Firmen-Privilegien abgeschafft werden. Nur wie? "Es ist europäisches Prinzip, dass Steuersätze Sache der Mitgliedstaaten sind", sagte jüngst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Und als die G 20-Finanzminister jüngst um einen Aktionsplan gegen aggressiven Steuerwettbewerb rangen, musste Schäuble nachher einräumen: "Wir haben nicht die Fortschritte erzielt, die wir uns gewünscht haben." Ein einheitlicher Mindeststeuersatz für Unternehmen in Europa scheint derzeit jedenfalls eher Wunschdenken als realistische Perspektive.

(RP)
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