Konzerne bauen tausende Stellen ab Die größten Baustellen der Energiewende

Berlin/Brüssel · RWE hat im Streit um die dreimonatige Stilllegung des Meilers Biblis gesiegt. Zugleich ist die Produktion an Kohlestrom stark gestiegen. Energieminister Gabriel kämpft damit an immer mehr Fronten. Bis 20. Januar muss er sich in Brüssel erklären.

Später Sieg für RWE: Das Bundesverwaltungsgericht erklärte die 2011 nach dem Unglück von Fukushima vom Staat erzwungene dreimonatige Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis für rechtswidrig.

RWE sei nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, so die Richter. Nun will RWE Schadenersatz geltend machen. Laut Branchenkreisen können die Essener auf 190 Millionen Euro hoffen. Die RWE-Aktie legte um mehr als vier Prozent zu und war bester Wert im Dax. Das ist nur eine Front, an der Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) kämpft. Die weiteren Baustellen:

Energiekonzerne bauen tausende Stellen ab

Die aktuelle Klage bezog sich nur auf die vorübergehende Stilllegung von Biblis. Offen ist, wie die Klagen von RWE, Eon und Vattenfall gegen den Atomausstieg insgesamt ausgehen. Hier werden die Verfassungsrichter entscheiden.

Klar ist, dass alle Konzerne unter der abrupten Energiewende leiden und noch kein neues Geschäftsmodell gefunden haben. Eon baut derzeit 11 000 seiner 80 000 Arbeitsplätze ab. Auch RWE streicht massenhaft und könnte am Ende von einst 74 000 auf 55 000 Mitarbeiter geschrumpft sein.

Am Mittwoch kündgte RWE Kürzungen in seiner Sparte für Erneuerbare Energien (Innogy) an. Die Investitionen für 2014 würden von zuletzt angepeilten 500 Millionen Euro noch einmal nach unten angepasst, sagte RWE-Innogy-Chef Hans Bünting am Mittwoch. Der Personalstand sinkt von 1500 Ende 2013 auf 700 bis 800 im Jahr 2015, wobei mehrere hundert Mitarbeiter intern in andere Abteilungen wechseln sollen.

Trotz der Energiewende immer mehr klimaschädlicher Kohlestrom

Das zweite Ziel der Energiewende neben dem Atomausstieg — die Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes durch den Ausbau der klimafreundlichen erneuerbaren Energien — wird verfehlt. Die Versorger haben den Anteil der Stromproduktion aus der klimaschädlichen Stein- und Braunkohle im vergangenen Jahr kräftig erhöht, wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gestern mitteilte. Der Anteil des Kohlestroms an der gesamten Stromerzeugung stieg gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Prozentpunkte auf 45,5 Prozent. Dagegen sank die Stromproduktion aus klimafreundlicheren Erdgas-Kraftwerken um 1,6 Punkte auf 10,5 Prozent. Der Anteil der erneuerbaren Energien stieg nur noch leicht um 0,6 Punkte auf 23,4 Prozent.

Gründe für den Anstieg des Kohlestroms sind in der Verbilligung der Kohle im Verhältnis zum Erdgas und den Erneuerbaren zu sehen. CO2-Emissionszertifikate sind in Europa sehr billig zu haben, sie tragen daher nicht zur Verteuerung des Kohlestroms bei. Das Angebot an Zertifikaten soll daher im EU-Emissionshandelssystem deutlich verknappt werden. Gabriel hat diesem "Backloading" bereits zugestimmt.

Steigende Strompreise belasten Verbraucher und Unternehmen

Wegen des Überangebots an Strom — 2012 gab es selbst am verbrauchsstärksten Tag des Jahres ein Überangebot von 16 Prozent — sind die Großhandelspreise für Strom stark gefallen. Bei den Verbrauchern kommt davon allerdings nichts an, im Gegenteil: Im Jahr 2013 stiegen die Strompreise im Schnitt um zehn Prozent. Zum Jahreswechsel 2014 erhöhten die Versorger im Schnitt um gut drei Prozent. Hier macht sich der weitere Anstieg der Ökostrom-Umlage bemerkbar, sie stieg allein 2013/14 um einen auf 6,3 Cent pro Kilowattstunde — und droht 2015 weiter auf etwa sieben Cent anzuwachsen. Mit der Umlage finanzieren die Verbraucher die festen Vergütungssätze für die Ökostrom-erzeuger. Ihnen wurden feste Sätze für 20 Jahre staatlich garantiert. Der Ökostrom wird derzeit mit 24 Milliarden Euro pro Jahr gefördert.

Die Ökostrom-Produzenten fürchten die geplante EEG-Reform

Gabriel will den Kostenanstieg bei den erneuerbaren Energien begrenzen, indem er die Vergütungssätze vor allem für Windräder an Land deutlich kürzt. Auch will er die Förderung auf die effektivsten Standorte beschränken und mehr marktwirtschaftliche Anreize schaffen. Eckpunkte der EEG-Reform sollen noch vor Ostern kommen. Dabei muss Gabriel auch die EU-Komission im Blick haben, die sich seine Reform genau ansehen will. Nach den jüngst veröffentlichten Leitlinien von EU-Wettbewerbskommissar Almunia wäre eine feste Einspeisevergütung wie im EEG nicht mehr möglich. An deren Stelle will Almunia Marktprämien setzen, also einen Aufschlag auf den Börsenpreis. Dessen Höhe soll aber per Auktion und nicht, wie von SPD und Union geplant, vom Staat festgelegt werden.

Beihilfe-Verfahren der EU bedroht die deutsche Industrie

Vor allem aber sind der EU-Kommission die Ökostrom-Rabatte für die deutsche Industrie ein Dorn im Auge. Rund 20 Prozent des deutschen Stroms sind derzeit von der EEG-Umlage befreit. Almunia sieht hierin eine Benachteiligung ausländischer Unternehmen. Die deutsche Industrie dagegen einen Ausgleich für Nachteile, die ausländische Konzerne gar nicht haben. Almunia hat ein Beihilfe-Verfahren eingeleitet, Gabriel muss bis zum 20. Januar reagieren. Eine Entscheidung dürfte vor der Sommerpause fallen. Schlimmstenfalls kann die EU-Kommission Millionen-Nachzahlungen verlangen. In jedem Fall wird sie darauf bestehen, dass die Zahl der Ausnahmen und die Höhe der Rabatte gesenkt werden, was energieintensive Branchen wie Alu- und Stahlhütten mit Sorgen sehen.

(mar)
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