Oliver Zander "Die menschenleere Fabrik ist eine Illusion"

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall über die neue IG-Metall-Spitze, die Industrie 4.0 und Kinderbücher.

Düsseldorf Morgen beginnt in Frankfurt der Gewerkschaftstag der IG Metall. Neben der Wahl einer neuen Führung steht die strategische Ausrichtung bis 2019 auf dem Programm. Was die Arbeitgeber von ihrem Sozialpartner erwarten, erläutert Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall.

Die IG Metall bringt gerade ein Bilderbuch heraus: "Carla, Fabio und Mama streiken". Wann kommt das erste Gesamtmetall-Pixibuch - etwa "Mama und die Kinder sperren Papa aus" oder "Warum der Papi für den US-Kunden auch mal spät nachts aufstehen sollte"?

ZAnder Sie werden lachen: Wir haben schon längst ein Pixibuch: "Meine Freundin, die ist Ingenieurin". Allerdings wurde das im Rahmen der Nachwuchswerbung aufgelegt - ganz ohne den ideologischen Ton, auf den die IG Metall offenbar setzt.

Die Betonung des Streiks hat ihren Grund. Bei der letzten Tarifrunde ging es mit massiven Warnstreiks ruppig zur Sache. Haben Sie es mit einer rauflustigeren IG Metall zu tun?

Zander Die IG Metall hat in der letzten Tarifrunde zu Warnstreiks aufgerufen, sie aber in einigen Unternehmen diesmal nicht mehr im Griff gehabt. Wir hatten nicht zu rechtfertigende Exzesse. Das waren reguläre, lange geplante Arbeitskämpfe. In einem Betrieb stand schon im Oktober 2014 am Schwarzen Brett, dass der Warnstreik am 28. Januar 2015 unmittelbar nach dem Ende der Friedenspflicht stattfindet.

Die IG Metall ist mit der Taktik aber sehr gut gefahren. Viele Ihrer Mitglieder haben beklagt, der Abschluss sei zu hoch. Das dürfte den Druck auf Sie erhöhen, nun mehr Härte zu zeigen.

Zander Bei der Altersteilzeit haben wir uns sehr gut durchgesetzt. Auch bei der Bildungsteilzeit ist nicht das IG-Metall-Wunschpaket herausgekommen. Aber es stimmt: Das Entgelt ist zu stark gestiegen und die Laufzeit war zu kurz. Für 2016 hängt es nun davon ab, mit welcher Forderung die IG Metall um die Ecke kommt. Wenn sie die Konjunkturrisiken und auch die VW-Krise nicht ausreichend berücksichtigt, werden wir entsprechend reagieren müssen.

Am Dienstag endet die Ära von IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Was überwiegt: Wehmut oder Erleichterung?

Zander Wir wählen den IG-Metall-Vorsitzenden ja nicht, wir arbeiten mit jedem Vorsitzenden zusammen. Bei Detlef Wetzel hat mir gut gefallen, dass er das Bündnis "Zukunft für Industrie" mit angeschoben hat. Eine kluge Idee. Dass er allerdings jedes Thema gleich zur Kampagne gemacht hat, um Mitglieder zu werben, ist nicht auf der Haben-Seite zu verbuchen.

Der designierte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wird im Dezember 60, und mit Christiane Benner wird erstmals eine Frau Zweite Vorsitzende. Werden wir mit ihr in vier Jahren die erste IG-Metall-Chefin erleben?

Zander Nach der IG-Metall-Arithmetik wäre das so. Aber wann das kommt, kann niemand sagen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass Hofmann in vier Jahren noch eine Amtszeit dranhängt.

Im kompletten Gesamtmetallvorstand sitzt nicht eine Frau. Da ist die Gewerkschaft deutlich progressiver.

Zander Ich halte das Quotendenken für alles andere als progressiv. Es kommt darauf an, dass die richtige Person die Aufgabe übernimmt - die Frage nach dem Geschlecht ist nachrangig. Die Arbeitgeberverbände haben Verhandlungsführerinnen. Den Pilotabschluss 2013 hat eine bayerische Unternehmerin verhandelt. Und Gesamtmetall hatte bereits zwei Hauptgeschäftsführerinnen.

Wie wird sich die IG Metall unter Hofmann verändern?

Zander Es wird sicher einen anderen Stil geben. Trotz aller Kampagnen, die es auch weiter geben wird, wird er versuchen, wichtige Themen anzupacken und zu Lösungen zu gelangen - etwa beim Thema Industrie 4.0. Hoffentlich, ohne in die alten Schützengräben zu geraten.

70 Prozent der Firmen gaben jüngst an, die Digitalisierung spiele bei ihnen keine oder eine sehr geringe Rolle.

Zander Der Mittelstand nutzt schon sehr intensiv Informationstechnik, allerdings nicht in allen Fällen im Produktionsprozess. Die Industrie 4.0 kommt, wird aber keine Revolution, sondern eine Evolution sein. Sie wird die Produktivität erhöhen. Möglich ist es, dass wir Einzelfertigung zu Kosten von Massenprodukten hinbekommen. Deshalb werden über kurz oder lang alle schon dank des Wettbewerbsdrucks mitmachen. Klar ist aber: Die oft beschworene menschenleere, nur von Robotern betreute Fabrik ist eine Illusion.

Die Belegschaft befürchtet eine Lohnspreizung: einige gut bezahlte Fachkräfte und viele schlecht bezahlter Kräften für einfache Tätigkeiten.

Zander Wir glauben, dass wir mit den jetzigen Qualifikationen im Kern auskommen. Wir werden nicht viel weniger Köpfe haben, aber ihre Qualifikation wird eine andere sein. Bei der Ausbildung sollten wir den Fokus verschieben. Einen Riesenbedarf wird es bei IT-Fachleuten, speziell bei Software-Entwicklern geben.

Bedarf es weiterer tarifpolitischer Regelungen, um sicherzustellen, dass alle Beschäftigen - auch die älteren - fit für die Industrie 4.0 werden?

Zander Unser Instrumentarium reicht aus, wir müssen nur dafür werben, dass sich die Beschäftigten weiterbilden. Die Unternehmer wissen, dass gute Leute ein Wettbewerbsfaktor sind und werden sich entsprechend darum kümmern.

Durch die Digitalisierung steigen die Anforderungen durch die Kunden. Der chinesische, australische oder amerikanische Abnehmer lebt in einer anderen Zeitzone. Werden Sie die Zeitflexibilität auf die Tagesordnung der Tarifverhandlungen setzen?

Zander Wir werden mit Sicherheit die Frage nach der Erreichbarkeit betrachten müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da ist die Tarifrunde 2016 aber nicht der richtige Ort. Das würde sie überfrachten. Das müssen wir langfristiger vorbereiten. Und das tun wir auch.

Die Gewerkschaft wirft Ihnen vor, mit Werkverträgen Löhne und Tarifstandards zu umgehen.

Zander Erst hieß es bei der IG Metall ja sogar, Werkvertragsnehmer würden die Stammbelegschaften verdrängen. Diese Mär ist inzwischen beerdigt. Wir haben in der Krise 230.000 Stammarbeitsplätze verloren, konnten seitdem aber 360.000 wieder aufbauen - flapsig ausgedrückt: 130.000 über den Durst. Die Vorwürfe der schlechteren Arbeitsbedingungen sind auch an den Haaren herbeigezogen. Da gelten Tarifverträge, da gibt es Betriebsräte. Ich kann da keinen Missbrauch erkennen. Auf mich wirkt es so, als suche die IG Metall händeringend auf fremdem Terrain nach Mitgliedern.

M. PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(maxi)
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