Freiheit Statt Status Die neue Bescheidenheit der Autobauer

Freiheit Statt Status · Selten wurden auf einer einzigen Automesse so viele neue Kleinwagen präsentiert wie in Genf. Damit reagiert die Branche auf einen Kulturwandel: Für die nachwachsende Kundschaft ist das Auto nicht mehr so wichtig.

Natürlich kann man beim Genfer Autosalon auch noch echte Männerträume bestaunen. Den neuen Ferrari "California" zum Beispiel. Ein bildschönes Cabrio, dessen 4,3 Liter großer V8-Motor fast 500 PS freisetzt und den Italiener auf 319 Stundenkilometer beschleunigt. Oder eine neue Keil-Karosse von Lamborghini: Der Huracán ist dank seiner 610 PS in weniger als zehn Sekunden bei Tempo 200.

Spektakuläre Auto-Monster zwar, die aber ebenso rasant wie weit am Automarkt vorbeifahren. Die wirklich relevanten Premieren finden die erwarteten 700 000 Besucher der Messe von heute bis zum 16. März fast nur noch am anderen Ende des Spektrums: im Klein- und Kleinstwagensegment. So viele neue Stadtflitzer wie in diesem Autofrühling gab es selten.

"Die Bedeutung der Kleinwagen wächst", sagt der Bergisch Gladbacher Auto-Wissenschaftler Stefan Bratzel, "das hat viel damit zu tun, dass das Auto immer weniger als Prestigeobjekt und immer mehr als reiner Gebrauchsgegenstand wahrgenommen wird." Sein Fachkollege von der Universität Duisburg-Essen, Ferdinand Dudenhöffer, beziffert den Anteil der Kleinwagen an den deutschen Neuzulassungen mit aktuell 7,9 Prozent. Vor zwei Jahren waren es noch 5,8 Prozent. "Das klingt nach wenig", erklärt Dudenhöffer, "aber die Kleinwagen gehören seit drei Jahren zu den ganz wenigen Segmenten, die überhaupt noch wachsen." Dahinter steckt ein kultureller Wandel, der in den kommenden Jahren die gesamte Branche verändern könnte: Autos sind nicht mehr so wichtig.

Verstopfte Autobahnen, die ewige Parkplatzsuche in den Großstädten und ihre unsicheren Arbeitsverhältnisse verleiden vor allem jungen Autokäufern den Spaß. Das Durchschnittsalter der Kunden von Neuwagen ist seit 1995 von 46 auf 52 Jahre gestiegen.

Gleichzeitig boomt das Car-Sharing: 2010 teilten sich in Deutschland noch 190 000 Teilnehmer 5000 Fahrzeuge, inzwischen greifen 757 000 Teilnehmer auf 13 950 Fahrzeuge zurück. Daimler und BMW haben reagiert: Mit "car2go" (Daimler) und "drive now" (BMW) halten sich die Ikonen des deutschen Automobilbaus inzwischen eine Armada von Leihwagen, die in fast allen deutschen Großstädten flächendeckend für Spontankunden bereitstehen. Daimler-Chef Dieter Zetsche baut den ältesten Autobauer der Welt gerade ganz offiziell um: vom Hersteller zum Dienstleister, der nicht nur Autos, sondern Mobilität verkauft.

Wurde die Vorliebe für bestimmte Marken früher an die Söhne vererbt, entscheidet heute vor allem der Preis. "Die Markenloyalität der Neuwagenkäufer hat merklich abgenommen", heißt es beim Wiesbadener Branchenbeobachter Graf Lambsdorff & Compagnie, vor allem in den Massensegmenten sei das Preis-Leistungs-Verhältnis heute wichtiger als der Kauf einer bestimmten Marke.

Einer aktuellen Studie der Commerz Finanz GmbH zufolge assoziieren die Verbraucher mit dem Begriff "Auto" heute vor allem "Freiheit" und "Autonomie" (52 Prozent). Vor 20 Jahren wurden diese Begriffe erst an dritter Stelle genannt. Damals waren "Aufstieg" und "Erfolg" die wichtigsten Auto-Assoziationen.

All das lehrt die Autobauer von heute Bescheidenheit. "So alltagstauglich wie eine Steckdose", heißt ein aktueller Werbeslogan von Opel, der Marke, die schon lange nicht mehr so erfolgreich war wie mit ihrem Kleinstwagen "Adam", der in Genf in neuem Offroad-Look vorgestellt wird. Marktführer VW rückt den kleinen Bruder des Golf in den Mittelpunkt: einen aufgefrischten Polo mit TDI-Sparmotor, der auf 100 Kilometern nur noch 3,1 Liter verbraucht. Selbst die Premiummarke Audi inszeniert das Neue im Kleinen: den S1, die Sportversion des Bonsai-Audis A1. Preiswerte Kleinwagen präsentieren in Genf auch Renault, Mazda und Toyota.

(RP)
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