Günther Oettinger "Die Strompreise werden um fünf Prozent pro Jahr steigen"

Der EU-Energiekommissar über Sanktionen, den Verkauf von Dea an einen Russen und seine Zukunft nach der Europawahl.

Beweist die Krim-Krise die Ohnmacht Europas?

Oettinger Nein. Wir haben in den letzten Wochen eine ziemlich überzeugende gemeinsame Linie entwickelt, obwohl die Interessen der Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich sind. Sowohl im Außenministerrat wie im Europäischen Rat hat Europa bewiesen, dass wir kohärente Positionen und auch Stufenfolgen von schärfer werdenden Sanktionen aufbauen können. Der russische Staatschef Wladimir Putin setzt auf die Strategie "teile und herrsche". Er wird die Spaltung der europäischen Mitgliedsstaaten aber nicht erreichen. Wir sind da gut aufgestellt.

Weitere Sanktionen werden der deutschen Wirtschaft schaden.

oettinger Wenn sie angewendet werden, schaden sie der russischen Wirtschaft weit mehr als der EU-Wirtschaft. Der Rubel ist in den letzten Tagen als Währung abgestürzt, der Euro ist stabil geblieben. An den Börsen stürzen die Kurse in Moskau ab, in Frankfurt und London bislang nicht. Russland wird es in diesem Jahr nicht mehr gelingen, Staatskonzerne zu privatisieren oder wesentliche Anteile daran über die Börse zu verkaufen.

Sollten betroffene Unternehmen entschädigt werden?

oettinger Nein. Das Primat der Politik galt ja auch vorher schon. Wir haben auch gegen den Irak oder Libyen Lieferbeschränkungen umgesetzt, und die Wirtschaft hat das mitgetragen. Umgekehrt zahlt die Wirtschaft ja auch nicht höhere Abgaben oder Gebühren, wenn sie von den außenpolitischen Erfolgen der EU oder der Mitgliedsstaaten profitiert.

Was bedeutet die Krim-Krise für die Energiesicherheit in Deutschland?

oettinger Jede Krise bringt Veränderungen auf den Energiemärkten mit sich. Eine Wirtschaftskrise verringert die Energiepreise, eine Krise der Politik verteuert sie. Deshalb ist die Gefahr für steigende Preise bei Öl, Gas und auch für Benzinpreise nicht von der Hand zu weisen.

Muss Deutschland jetzt die Laufzeiten für Atommeiler verlängern?

oettinger Die Kernkraft wird in Deutschland abgeschaltet – egal, wer die nächsten beiden Bundestagswahlen gewinnt. Der Ausstieg wird 2022 beendet sein. Die Debatte ist es jetzt schon. Wir hatten in Deutschland vor Fukushima 23 Prozent Atomkraftanteil am Energiemix, in Europa haben wir jetzt 28 Prozent. Es gibt in Europa teilweise Laufzeitverlängerungen von 50 Jahren. Ich gehe davon aus, dass der Anteil der Atomkraft am EU-Energiemix in den kommenden 25 Jahren nicht unter 25 Prozent liegen wird.

Darf RWE seine Tochter Dea an Russland verkaufen?

oettinger Es ist pikant, dass ausgerechnet am Tag des Referendums über den Käufer in diesem Prozess entschieden wurde. Aber Dea ist kein ganz so großer Akteur im Markt. Außerdem wird das Vorhaben noch kartellrechtlich geprüft – und voraussichtlich auch genehmigt. Allerdings ist das Vorgehen von RWE erklärbar. Deutschland hat auf eigene Unternehmen im Tankstellenmarkt bislang wenig Wert gelegt. So ein Verkauf ins Ausland ist die Folge davon. Hinzu kommt, dass RWE dringend auf Verkaufserlöse angewiesen ist.

Wie teuer wird der Strom für die deutschen Verbraucher noch?

Oettinger Preissenkungen sind nicht zu erreichen. Ich gehe von weiteren Preissteigerungen von etwa fünf Prozent pro Jahr aus.

Großhandelspreise für Strom sinken, Verbraucher zahlen mehr. Warum?

oettinger Weil auf die Endkundenpreise immer noch die Steuern und Abgaben kommen, die durch die Kreativität der Politik zulasten der Endverbraucher immer stärker gestiegen sind. Über 50 Prozent des Strompreises sind in Deutschland Steuern, Abgaben und Umlagen. Ich leite daraus keine Forderung ab. Aber ich weise darauf hin, dass hier ein gewisser Gestaltungsspielraum für die Politik besteht.

Ihre Amtszeit endet nach der Europawahl. Wollen Sie verlängern?

oettinger Meine aktuelle Amtszeit geht mindestens bis Oktober. Ich bin auf zwei Szenarien vorbereitet: Sollte ich aus der EU-Kommission ausscheiden, bin ich noch jung genug, um in die Wirtschaft zu gehen. Aber ich habe auch keinen Grund, Brüssel zu verlassen. Wenn ich gefragt werde, ob ich zu einer zweiten Amtszeit bereit bin, bleibe ich auch gerne.

THOMAS REISENER FÜHRTE DAS GESPRÄCH. DIE LANGFASSUNG STEHT UNTER : WWW.RP-ONLINE.DE/WIRTSCHAFT

(RP)
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