Berlin Europas riskantes Spiel mit dem Grexit

Berlin · Worüber streiten die Geldgeber mit Athen? Wer haftet bei einer Staatspleite? Was passiert beim Grexit mit unserem Geld?

Jean-Claude Juncker war am Sonntag mit seinem Latein am Ende. Alle Versuche des EU-Kommissionspräsidenten, Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zu bringen, waren gescheitert. Brüssel gab die Schuld dafür der griechischen Seite. Die Athener seien verspätet angereist, hätten stundenlang beim Brunch in einem teuren Restaurant zugebracht und die EU-Vertreter warten lassen - um dann kaum belastbare Sparpläne vorzulegen. Der Grexit, der Abschied aus der Euro-Zone, rückt näher. Der Dax fiel unter 11 000 Punkte.

Wie viel Zeit hat Athen noch? Griechenland muss bis zum 30. Juni 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Insgesamt soll Griechenland 2015 noch 26,7 Milliarden Euro überweisen. Schon für die nächste IWF-Rate Ende Juni hat Athen kein Geld, so dass es dringend die letzte Tranche von 7,2 Milliarden Euro aus dem zweiten Rettungspaket braucht. Um die Bedingungen, die Athen im Gegenzug erfüllen muss, dreht sich der Streit.

Warum wollen die Geldgeber an die Renten? Die Geldgeber wollen Reformen sehen, die es Griechenland erlauben, künftig auf eigenen Füßen zu stehen. Insbesondere der IWF will dies, weil er auch von Ländern wie Argentinien oder Thailand harte Reformen gefordert hat. Der IWF fordert Einsparungen bei den Renten in Höhe von einem Prozent des Sozialprodukts. Ministerpräsident Alexis Tsipras wittert dahinter politische Motive. IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard betont dagegen, Renten seien schlicht der größte Ausgabenblock, Renten und beamten-Gehälter machten drei Viertel des Staatshaushaltes aus. Das griechische Rentensystem ist eines der teuersten in Europa: Die Regelaltersgrenze liegt bei 62 Jahren, in Deutschland bald bei 67. Zudem liegt die "Eckrente" in Griechenland laut "Handelsblatt" mit 80 Prozent des Durchschnittslohns bei 1100 Euro. In Deutschland sind es nur 48 Prozent: 1287 Euro im Westen und 1187 Euro im Osten. Der Vergleich bezieht sich auf einen Rentner, der 45 Jahre gearbeitet und den Durchschnittsbeitrag gezahlt hat. Zugleich, und darauf verweist Athen, gibt es viele arme Rentner. Dies liegt unter anderem am hohen Anteil der Schwarzarbeit ohne Absicherung.

Was ist mit der Mehrwertsteuer? Umstritten ist auch die Reform der Mehrwertsteuer. Die Geldgeber wollen im nächsten Jahr Mehreinnahmen von 1,9 Milliarden Euro sehen. Die griechische Regierung will aber nur 1,4 Milliarden liefern - und sagt auch nicht, woher. Die publikumswirksame Bekämpfung der Benzinschmuggels jedenfalls würde nur magere 75 Millionen bringen, wie Athen selbst einräumt.

Warum spart Athen nicht bei Militärausgaben? 2,3 Prozent ihres Sozialprodukts wenden die Griechen für die Verteidigung auf, damit liegt der Anteil fast doppelt so hoch wie in Deutschland (1,3 Prozent). Das kann Griechenland sich gar nicht leisten. Doch das Militär hat in dem Land, das bis 1974 eine Militärdiktatur war, traditionell einen hohen Stellenwert. Zudem wähnt sich Griechenland als Frontstaat der Nato und stets vom Nachbarn, der muslimischen Türkei, bedroht.

Warum lehnen die Geldgeber einen Schuldenschnitt ab? Finanzminister Giannis Varoufakis fordert angesichts des Schuldenbergs (180 Prozent des Sozialprodukts) einen Schuldenerlass. Den lehnen die öffentlichen Gläubiger ab - vor allem aus politisch-pädagogischen Gründen. Sie könnten dann Ähnliches Spanien, Portugal oder Italien (130 Prozent) kaum verwehren. Auch die Hauptgläubigerin EZB ist dagegen, da sie dann die Staaten um Nachschuss bitten müsste. De facto hat Griechenland ohnehin einen "weichen Schnitt" erfahren - die Tilgung wurde auf Jahrzehnte gestundet.

Wie könnte eine Vereinbarung in letzter Minute aussehen? Eine Einigung über den Abschluss des zweiten Hilfspakets könnte in diesen Tagen noch gelingen, wenn die griechische Seite belastbare Vorschläge vorlegt. Am Donnerstag tagt die Eurogruppe der Finanzminister. Auf dem EU-Gipfel am 25. und 26. Juni können die Regierungschefs dann grünes Licht geben.

Würde eine Pleite automatisch auch den Euro-Austritt bedeuten? Nein. Auch ein Zahlungsausfall und die Feststellung des "Defaults" durch eine Ratingagentur würde nicht automatisch bedeuten, dass Griechenland aus dem Euro geht. Grundsätzlich sieht die Währungsunion den Ausstieg eines Landes gar nicht vor. Wahrscheinlich wäre ein unfreiwilliger Euro-Abschied: Die EZB kann Anleihen eines insolventen Staates nicht mehr als Sicherheiten für Kredite an griechische Banken akzeptieren und müsste ihnen den Geldhahn abdrehen.

Wie könnte der Verbleib im Euro trotz Pleite funktionieren? Um Chaos zu verhindern, könnten die Euro-Partner einen Notfallplan vereinbaren. Athen müsste Kapitalverkehrskontrollen einführen, um den Euro-Abfluss zu stoppen. Die Euro-Partner müssten das griechische Bankensystem stützen. Athen müsste Schuldscheine einführen, um Beamte und Renten zu bezahlen. Diese würden sich zu einer Parallelwährung entwickeln, die abwertet. Nach Jahren könnte Griechenland wieder Voll-Mitglied werden.

Was würde beim Grexit passieren? Griechenland würde die Drachme wieder einführen. Sie würde sofort stark abwerten. Griechische Exporte würden billiger, Importe dagegen teurer. Dadurch würde die humanitäre Lage prekärer, viele könnten sich Medikamente nicht mehr leisten. Die Bundesbank fürchtet, dass es zu Chaos an den Finanzmärkten kommt. Auf lange Frist könnte Griechenland mit eigener Währung wettbewerbsfähiger werden.

Welche Folgen hätte der Grexit für den Euro? Investoren könnten ihr Vertrauen in die Unwiderruflichkeit des Euro verlieren. Die Abwehrkräfte von Portugal und Spanien würden ausgetestet. Der Euro könnte gegenüber dem Dollar abwerten, die Europäer damit gegenüber dem Euro-Ausland Vermögen verlieren. Immerhin ist der Euro heute besser gerüstet, da Rettungsschirm und Bankenunion errichtet wurden.

Was würde eine Staatspleite deutsche Steuerzahler kosten? Deutschland hat Griechenland bisher knapp 90 Milliarden Euro geliehen, die im Falle der Pleite nicht sofort komplett abzuschreiben wären. Zudem haftet Deutschland für Verluste der EZB mit seinem 27-Prozent-Anteil. Da die Kreditrückzahlungen erst ab 2023 in kleinen Jahrestranchen fällig werden, sind die Verluste für den Fiskus verkraftbar.

(mar)
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