Düsseldorf EVG-Chef Kirchner wird zum Scharfmacher

Düsseldorf · Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft will sich im Bahn-Tarifstreit mit Streikdrohungen profilieren.

In Deutschland gibt es eine Reihe von Gewerkschaftschefs, die fallen insbesondere durch ihr kämpferisches Auftreten auf. Verdi-Chef Frank Bsirske ist so jemand. Er redet sich gerne in Rage und reckt auf der Bühne dann auch schon mal den "Finanzjongleuren" im Eifer des Gefechts beide Mittelfinger entgegen. Oder der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, der sich im TV gerne als unbeugsamer Streiter geriert und zuletzt mit dem längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn die Geduld der Kunden auf eine harte Probe stellte.

Allerdings gibt es auch Gewerkschaftschefs, die eher sachlich vorgehen und Konflikte lieber am Verhandlungstisch als in der Öffentlichkeit austragen. Alexander Kirchner, Vorsitzender der beim Deutschen Gewerkschaftsbund beheimateten Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), gehörte lange Zeit eindeutig zu diesem besonneneren Typus des Arbeiterführers.

Doch seit einigen Tagen vollführt der 58-jährige Hesse eine bemerkenswerte Kehrtwende. Getrieben vom aggressiven Auftreten der Konkurrenz von der GDL wandelt sich Kirchners EVG vom verlässlichen Sozialpartner zum gewerkschaftlichen Raufbold: "Wir können auch vor Weihnachten noch streiken, wenn wir nicht vorankommen", sagte Kirchner am Wochenende dem "Focus". "Dabei interessiert uns nicht, was die GDL macht."

Vordergründig geht es dem EVG-Chef darum, im Tarifstreit mit der Bahn den Druck aufrechtzuerhalten. Sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens jedoch 150 Euro mehr im Monat will der oberste Vertreter von 210 000 gewerkschaftlich organisierten Eisenbahnern dem Staatskonzern abtrotzen. Kirchner will zudem jeden Verdacht zerstreuen, die EVG sei weniger durchsetzungsstark als die GDL, lasse sich womöglich vom Bahn-Management in den laufenden Gesprächen über den Tisch ziehen. Auslöser sind die Sticheleien der Konkurrenz. GDL-Chef Weselsky lässt keine Möglichkeit verstreichen, die EVG als zahmen Erfüllungsgehilfen der Bahn-Chefetage darzustellen. Das böse Wort "Hausgewerkschaft" lässt er regelmäßig fallen. Vergleicht man jedoch die EVG-Abschlüsse mit denen der Spartengewerkschaft GDL, wird schnell klar, dass der Vorwurf unberechtigt ist. Weit auseinander liegen die Lohnerhöhungen nicht.

Und trotzdem setzt der EVG-Chef jetzt auf eine härtere Gangart. Bei den anstehenden schwierigen Verhandlungen dürfte es Kirchner sehr zugutekommen, dass er den Bahn-Konzern wie wohl kein Zweiter kennt: Seit 1973 ist er an Bord, begann in seiner Heimatstadt Limburg als Azubi zum Energieanlagen-Elektroniker im örtlichen Bahn-Ausbesserungswerk. Früh trat er der Transnet bei und durchlief die klassische Gewerkschafter-Karriere: Jugendvertreter, Personalrat, hauptamtlicher Gewerkschafter. Der leidenschaftliche Motorradfahrer rückte im Juni 2000 in den erweiterten Vorstand auf, kurze Zeit später wurde er Leiter der Tarifabteilung, wo die Königsdisziplin des Gewerkschaftswesens betrieben wird. Im Mai 2008 machte Transnet-Chef Norbert Hansen Kirchner zum Vize-Chef. Als Hansen sich auf den lukrativen Posten des Bahn-Personalvorstands verabschiedete, war im November 2008 der Weg für Kirchner an die Spitze frei - nur wenige Monate nachdem Weselsky das Ruder bei der GDL übernommen hatte. Unter Kirchners Ägide fand 2010 der Zusammenschluss mit der GDBA zur EVG statt.

Am 3. Dezember tagt die Tarifkommission, um über das jüngste Bahn-Angebot zu entscheiden. Sollten die Mitglieder mit den knapp 600 Seiten unzufrieden sein, wäre das der Startschuss für neue Bahn-Streiks - und wohl der endgültige Wandel Kirchners vom gemäßigten zum aggressiven Gewerkschafter.

(RP)
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