Berlin/Düsseldorf Experten: Zu viel Strom aus Braunkohle

Berlin/Düsseldorf · Energiewende paradox: Die klimaschädliche Stromerzeugung aus Braunkohle hat 2013 fast wieder den Rekord-Stand von 1990 erreicht – trotz der teuren Ökostrom-Förderung. Fachleute fordern, die Braunkohle-Verstromung zu verteuern.

Energiewende paradox: Die klimaschädliche Stromerzeugung aus Braunkohle hat 2013 fast wieder den Rekord-Stand von 1990 erreicht — trotz der teuren Ökostrom-Förderung. Fachleute fordern, die Braunkohle-Verstromung zu verteuern.

Energie-Experten und Umweltpolitiker haben vor dem Scheitern der Energiewende gewarnt, sollte es Deutschland in den kommenden Jahren nicht gelingen, nach dem Atomausstieg auch aus der Braunkohle-Verstromung auszusteigen. "Nach dem Atomausstieg muss der Kohle-Ausstieg kommen, sonst macht die Energiewende keinen Sinn", sagte die Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert. Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) sagte: "Wenn die schmutzigsten, ältesten und klimaschädlichsten Kohle-Kraftwerke den größten Gewinn abwerfen und gleichzeitig hochmoderne, klimafreundlichere Gaskraftwerke vom Netz gehen, läuft etwas grundlegend falsch."

Sie reagierten damit auf jüngste Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen. Demnach ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle im vergangenen Jahr trotz der milliardenschweren Ökostrom-Förderung auf den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung 1990 gestiegen. Mit mehr als 162 Milliarden Kilowattstunden wurde aus Braunkohle-Kraftwerken fast so viel Strom erzeugt wie 1990 mit 171 Milliarden Kilowattstunden, als noch viele DDR-Kraftwerke am Netz waren. Die deutsche Energiewende wird dadurch ad absurdum geführt, denn trotz aller Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien dürfte der CO2-Ausstoß 2013 weiter gestiegen sein.

Fachleute sehen mehrere Ursachen für den starken Anstieg der Braunkohle-Verstromung. Der Weltmarktpreis für Kohle ist deutlich gesunken, seitdem die USA große Erfolge mit "Fracking" feiern, dem Bohren nach Schiefergas in der Erde. Dadurch stieg in Nordamerika die Nachfrage nach billigem Gas stark an, während jene nach Kohle sank. Dies ließ den Kohle-Importpreis sinken. Für Kraftwerksbetreiber wie RWE und Vattenfall lohnte es sich damit umso mehr, alte Kohle-Kraftwerke am Netz zu halten.

Gas-Kraftwerke dagegen, oft auch sehr moderne, wurden im Verhältnis weniger genutzt. Das Gas kommt zumeist aus Russland. Hier ist Deutschland an langfristige Lieferverträge gebunden. Von der Senkung der Gaspreise durch das US-Fracking konnte es daher weniger profitieren als die USA und andere.

Zudem verfehlt der Handel mit Verschmutzungsrechten in der EU bisher sein Ziel, Stromproduktion und -verbrauch klimafreundlicher zu machen. Die Industrie erhielt zu viele Zertifikate, die meisten davon kostenlos. Nun diskutiert die Politik über eine nachträgliche Verknappung der Zertifikate. Deutschland hatte das auf Wunsch der FDP lange Zeit blockiert, doch die große Koalition hat diesem "Back-Loading" der Zertifikate zugestimmt. Allerdings ist der Plan, die Zertifikate vom Markt zu nehmen, noch nicht in die Tat umgesetzt.

Zudem unterstützt die Bundesregierung indirekt die Förderung von Braunkohle in der Lausitz, indem sie das Förder-Unternehmen Vattenfall von den Kosten der Ökostrom-Förderung befreit hat. Kemfert fordert hier ein rasches politisches Umsteuern: "Die Braunkohle wird indirekt subventioniert, weil die Förderunternehmen, vor allem Vattenfall, keine Ökostrom-Umlage bezahlen müssen. Das muss die große Koalition unbedingt schnell ändern." Zudem müssten die CO2-Zertifikate stärker und dauerhaft verknappt werden, so dass der Kohle-Strom für die Industrie teurer werde. Die bisherigen Pläne der EU und der Bundesregierung zur Zertifikate-Verknappung reichten bei weitem nicht aus. Ähnlich äußerten sich Remmel und Rainer Priggen, Fraktionschef der NRW-Grünen.

"Im Jahr 2013 wurde in Deutschland mehr Energie mit weniger Kohle erzeugt. Denn die Kraftwerke sind moderner und effizienter geworden. Wer weniger Kohle einsetzen will, muss auch dazu sagen, dass der Strom dann teurer wird", sagte dagegen Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD).

Industriepolitiker haben vor allem den Standort im Blick: Sie wollen teureren Industriestrom verhindern — vor allem, da deutsche Unternehmen hier schon jetzt unter Wettbewerbsnachteilen gegenüber US-Konkurrenten leiden. "Wer gleichzeitig aus der Kohleverstromung und aus der Atomkraft aussteigen will, gefährdet Arbeitsplätze und macht Strom zu einem teuren Luxusgut", warnte NRW-Wirtschaftspolitiker Hendrick Wüst (CDU).

(mar)
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