Düsseldorf/Wolfsburg VW-Chef Martin Winterkorn darf gehen

Düsseldorf/Wolfsburg · Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch erklärt, er habe "Distanz" zu Vorstandschef Martin Winterkorn. Damit scheint der Abgang des 67-jährigen Vorstandschefs fast zwangsweise. Arbeitnehmer und Niedersachsens Regierung sind geschockt.

VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch ist ein Mann, dem Loyalität ihm gegenüber sehr wichtig ist - und der missgünstige Manager trotzdem öffentlich demontiert, bevor er sie hinauskomplimentiert. Er ist der wohl mächtigste Mann der deutschen Wirtschaft und kann es sich als entscheidender Mitinhaber des Riesenkonzerns Volkswagen mit seinen fast 600.000 Mitarbeitern wohl leisten - immerhin hält der Porsche-Piëch-Clan die Mehrheit der Stimmrechte an VW. So hat Piëch sich früher gerühmt, bei wichtigen Personalentscheidungen unbedingt auch die Ehefrau des künftigen Top-Managers kennenlernen zu wollen - nur mit Rückendeckung der Ehegattin wären ja harte Jobs durchzuhalten, sagte er.

Als er Ende 2006 Vorstandschef Bernd Pischetsrieder zum Rücktritt zwang, hatte dies ein Vorspiel: Im März des Jahres hatte Piëch es noch als "eine wirklich offene Frage" bezeichnet, ob Pischetsrieder eine Vertragsverlängerung bekommt. Wenige Wochen darauf stimmte der Aufsichtsrat einstimmig für einen neuen Fünf-Jahres-Vertrag des Vorstandschefs - nur um Pischetsrieder dann zum Jahresende aus dem Amt zu verabschieden. Piëchs enger Vertrauter Winterkorn rückte auf.

Nun scheint es Winterkorn selbst zu treffen. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", zitiert der "Spiegel" Piëch. Damit scheint fast sicher, dass Winterkorn nicht, wie erwartet, spätestens im Frühjahr 2017 Nachfolger des nun 77-Jährigen als Oberaufseher wird. Aber in Wahrheit bedeutet das Misstrauensvotum auch, dass Piëch den 67-jährigen Winterkorn als Vorstandschef als Auslaufmodell betrachtet. "Volkswagen hat große Herausforderungen zu bewältigen", sagt ein Kenner der Verhältnisse in Wolfsburg, "da ist ein Vorstandschef ohne Vertrauen des Aufsichtsratschefs auf Dauer nur schwer denkbar."

Keiner hat dies klarer begriffen als die Arbeitnehmer und das Land Niedersachsen als Minderheitseigentümer von VW mit 20 Prozent der Stimmrechte. "Ich bin unangenehm überrascht über die Aussagen von Herrn Professor Piëch", sagt denn auch Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil (SPD). Das Land Niedersachsen hat zwar ein Vetorecht bei vielen Fragen - doch gegen den Porsche-Piëch-Clan kommt es schwer an.

Betriebsratschef Bernd Osterloh erklärt, wenn es nach ihm ginge, würde Winterkorns Vertrag "über 2016 hinaus verlängert". Osterloh, der auch im einflussreichen Präsidium des VW-Aufsichtsrats sitzt, rief dazu auf, keine Nachfolgedebatten zu führen - tatsächlich hat sie Pi ëch aber gezielt losgetreten.

Er machte zwischen 1993 und 2002 aus dem früheren Sanierungsfall Volkswagen Europas erfolgreichsten Autobauer, er leitet den Aufsichtsrat seit 2002 und führte nach einer Übernahmeschlacht VW und Porsche zusammen - jetzt will der Patriarch sein Erbe ordnen.

So erklärt Piëch gegenüber dem "Spiegel", seine im VW-Aufsichtsrat vertretene Ehefrau Ursula werde sicher nicht seine Nachfolgerin als Oberaufseherin, denn er wolle nicht "durch meine Frau weiter regieren". Gleichzeitig stellt Piech fest, sein Nachfolger und ein neuer Chef würden erst 2017 ernannt - und beide Kandidaten seien bereits im Unternehmen und sollten technischen Sachverstand haben. Das lässt nur eine Deutung zu: Es gibt Alternativen zu Winterkorn.

Zwei Manager werden dabei vorrangig als mögliche neue VW- Chefs gehandelt. Es ist der frühere BMW-Vorstand Herbert Diss (56), der seit Juli die viel zu unprofitable Kernmarke VW auf Vordermann bringt. Der andere Kandidat wäre der 57-jährige Ex-Daimler-Manager Andreas Renschler, den Piëch allerdings erst im Frühjahr zum Chef der Nutzfahrzeugsparte machte.

Gerade weil beide Manager erst kurz bei VW sind, ist damit keineswegs abgemacht, dass Winterkorn schon sehr bald geht. Auf der andern Seite drängen laut "Spiegel" wichtige Aufseher wie Piëchs Bruder Hans Michel darauf, dass der Autogigant sensible Probleme besser in den Griff bekommt. So gilt das USA-Geschäft als Schwachstelle. Unsicher ist, ob es bis 2017 gelingt, die Kosten um fünf Milliarden Euro zu senken. Und als drittes Problemfeld ärgert die Aufseher, dass VW seit Jahren zwar über den Einstieg ins Billigsegment diskutiert, bislang aber keine Entscheidung traf.

Ein Sanierungsfall ist VW trotzdem nicht: Der Konzern ist mit 115 Milliarden Euro Börsenwert wertvoller als jedes andere Unternehmen Deutschlands.

(RP)
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