Interview mit Ärztepräsident Rudolf Henke Ärzte-Streik: '"Die Knie-OP muss warten"

Düsseldorf · Patienten müssen vom 26. Januar an mit großen Einschränkungen an kommunalen Krankenhäusern rechnen. "Planbare Operationen werden für die Dauer des Streiks nicht vorgenommen werden können. Das neue Kniegelenk muss warten", sagte Rudolf Henke, Ärztepräsident in Nordrhein und Chef des Marburger Bundes, im Interview mit unserer Redaktion.

 Ärztepräsident Rudolf Henke: "Ich bezweifle, dass die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten so groß sind."

Ärztepräsident Rudolf Henke: "Ich bezweifle, dass die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten so groß sind."

Foto: ddp

"Der Streik der Ärzte muss den Kliniken wirtschaftlich schon wehtun, damit sich die Arbeitgeber endlich bewegen." Die Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund habe den Kliniken aber Notfalldienstpläne angeboten, um die Notfallversorgung sicherzustellen. "Der akute Blinddarm wird selbstverständlich entfernt", so Henke.

Im Interview mit unserer Redaktion bereitet Henke die Patienten auf Einschränkungen durch den Streik vor, nennt Gründe für die Bevorzugung von Privatpatienten und will gegen die niedrigen Honorare der Ärzte in NRW vorgehen.

Die Ärzte an kommunalen Krankenhäusern wollen ab 26. Januar streiken. Kann der Streik noch durch eine Einigung der Tarifpartner abgewendet werden?

Henke: Eine Einigung ist möglich, wenn die Arbeitgeber einlenken und ein vernünftiges Angebot vorlegen. Mit den bisher angebotenen 1,48 Prozent mehr Gehalt würde noch nicht einmal die Preissteigerung ausgeglichen. Viele Krankenhäuser haben 2011 ihre Erlöse deutlich erhöht. Da gibt es genügend Spielraum für einen ordentlichen Tarifabschluss.

Was ist angemessen?

Henke: Es ist angemessen, sechs Prozent mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu fordern, wie es unsere Ärztegewerkschaft Marburger Bund tut. Schließlich müssen die Ärzte in den Kliniken auch immer mehr leisten.

Ein Ärzte-Streik trifft viele Patienten. Was kommt auf die Patienten zu?

Henke: Der Streik richtet sich gegen die Arbeitgeber, nicht gegen die Patienten. Es wird aber zu Einschränkungen kommen. Planbare, nicht akute Operationen werden für die Dauer des Streiks nicht vorgenommen werden können. Es gibt aber Alternativen: Unikliniken, kirchliche Häuser und private Kliniken. Notfälle werden auf jeden Fall behandelt, das versteht sich von selbst. Kurz: Der akute Blinddarm wird selbstverständlich entfernt, das neue Kniegelenk muss warten.

Wie passt ein Streik zum Selbstverständnis der Ärzte?

Henke: Wie passt es zu einer modernen Gesellschaft, dass sie ihre Ärztinnen und Ärzte unter Wert bezahlt? Der Streik der Ärzte muss den Kliniken wirtschaftlich schon wehtun, damit sich die Arbeitgeber endlich bewegen. Der Marburger Bund hat den Kliniken aber bereits Notfalldienstpläne angeboten, um die Notfallversorgung sicherzustellen. Die Krankenhäuser bleiben auch im Streik einsatzfähig.

Auch niedergelassene Ärzte klagen über zu wenig Einkommen. Wem geht es schlechter?

Henke: Bei uns in Nordrhein-Westfalen stehen für die ärztliche Versorgung bei den niedergelassenen Ärzten rund 50 Euro pro Jahr weniger zur Verfügung als in München oder Berlin. Das ist ein Problem nicht nur für die Ärzte, die ihre Patienten gut behandeln wollen. Den Bürgern in NRW ist nicht zu erklären, dass sie den bundeseinheitlichen Krankenversicherungsbeitrag zahlen, für ihre Versorgung aber weniger Geld zur Verfügung steht als in anderen Ländern. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, das muss sich ändern. Es kann auch nicht so bleiben, dass sich unsere Krankenhäuser im Ländervergleich vergütungsmäßig im Tabellenkeller befinden. Für eine Gelenkspiegelung erhält zum Beispiel ein Krankenhaus in Rheinland-Pfalz rund 130 Euro mehr als in NRW, bei einer Blinddarmoperation gibt es jenseits der Landesgrenze rund 170 Euro mehr.

Bundesgesundheitsminister Bahr will nun niedergelassene Ärzte mit einer Extraprämie aufs Land locken. Ist das sinnvoll?

Henke: Daniel Bahr hat durchgesetzt, dass Landärzte, die mehr als im Budget veranschlagt arbeiten müssen, dafür künftig nicht mehr durch Honorarkürzungen bestraft werden. Das ist ein richtiger Fortschritt. Ob es reicht, um wieder mehr Ärzte in ländliche Praxen zu locken, muss sich erst noch zeigen. Bisher scheuen viele junge Ärztinnen und Ärzte das hohe wirtschaftliche Risiko, das eine eigene Praxis bedeutet. Zum Beispiel fürchten sie, für Arzneimittelverordnungen mit dem eigenen Einkommen haften zu müssen. Dieses Regressrisiko hat das neue Gesetz zwar deutlich gemildert, aber leider nicht komplett abgeschafft.

Ein anhaltendes Ärgernis sind die langen Wartezeiten für Kassenpatienten. Was muss dagegen getan werden?

Henke: Ich bezweifle, dass die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten so groß sind, wie es manche so genannte Studie behauptet. In einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen beschwerten sich nur acht Prozent der Patienten über zu lange Wartezeiten.

Es gibt in Deutschland keine Zwei-Klassen-Medizin? Das sehen viele aber anders.

Henke: Die Befürworter einer Einheitsversicherung spielen das Thema der Wartezeiten ganz bewusst hoch. Sicher gibt es einen finanziellen Anreiz für den Arzt, Privatpatienten bei der Terminvergabe zu bevorzugen − etwa wenn am Ende eines Quartals das vorgegebene Budget für gesetzlich Versicherte ausgeschöpft ist. Doch halte ich es für bigott, Ärztinnen und Ärzte für solche Folgen staatlich vorgegebener Unterfinanzierung verantwortlich zu machen. Und: Entscheidend ist doch die Qualität der medizinischen Behandlung. Die ist im Wesentlichen für Kassen- und Privatpatienten gleich − insbesondere in der Notfallversorgung und der Diagnostik und Behandlung in akuten Fällen. Da unterstützen die behandelnden Haus- und Fachärzte die Patienten auch dabei, schnell einen Termin beim Spezialisten zu bekommen. Alles andere wäre mit der ärztlichen Ethik gar nicht zu vereinbaren.

Ihr Vorgänger Jörg-Dietrich Hoppe hat immer wieder eine Priorisierung in wichtige und weniger wichtige Leistungen angemahnt. Fordern Sie das auch?

Henke: Wir brauchen in der Tat eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie viel Medizin wir uns leisten wollen. Doch wir Ärzte werben nicht dafür, dass bestimmte Leistungen aus dem Katalog der Krankenkassen gestrichen werden. Wichtiger ist es, die Finanzierung des medizinischen Fortschritts zu sichern.

Das heißt?

Henke: Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung können, anders als manche fordern, nicht gesenkt werden. Die Kassen haben wegen des Wirtschaftsbooms zwar Überschüsse erzielt. Mir sind solche Rücklagen aber lieber, als wenn es gar keine Reserven mehr gibt. Auch muss die private Krankenversicherung erhalten werden. Eine Abschaffung würde auch den gesetzlich Versicherten schaden, denn zahlreiche Investitionen in moderne Medizin wären dann nicht mehr möglich.

(rm)
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