Annelie Buntenbach im Interview "Selbstständige in die gesetzliche Rente einbeziehen"

Berlin · Der DGB fordert "eine Rente, die für den Urlaub reicht". Gewerkschafterin Annelie Buntenbach erklärt im Interview mit unserer Redaktion, was aus ihrer Sicht dafür notwendig ist und warum sie für die Abschaffung des Renteneintrittsalters ist.

Frau Buntenbach, reicht die Rente eines DGB-Bundesvorstandsmitglieds für einen Urlaub?

Buntenbach Ja, allemal. Da bin ich auf der Sonnenseite. Viele andere allerdings nicht.

"Eine Rente, die für den Urlaub reicht" ist Teil Ihrer Kampagne, mit der sie die Rente zum zentralen Wahlkampfthema gemacht haben. Dem Rentenkonzept welcher Partei können Sie persönlich am meisten abgewinnen?

Buntenbach Wir benötigen einen Kurswechsel: Das Rentenniveau muss auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden. Das haben SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen aufgenommen. Langfristig muss das Niveau aber wieder steigen – wir meinen auf 50 Prozent, die Linke spricht sogar von 53 Prozent. Die CDU ist dagegen auf einem Renten-Irrweg: Sie weigert sich, ein Rentenkonzept auf den Tisch zu legen. Stattdessen spielt die Union auf Zeit und will das Problem einer Renten-Kommission überlassen. So zu tun, als könnte man die Probleme bei der Rente aussitzen, ist kurzsichtig. Wenn das Niveau weiter sinkt, reden wir hier demnächst über massive Altersarmut und fehlende Akzeptanz für das ganze System.

Ein Rentenniveau von 50 Prozent klingt zwar gut, muss aber auch finanziert werden – und zwar von immer weniger Arbeitnehmern. Wie soll das gelingen?

Buntenbach Die schlechte Nachricht: Die Kosten des demografischen Wandels kann man nicht wegreformieren. Das schafft weder die gesetzliche Rente noch der Kapitalmarkt. Wir stehen aber doch jetzt vor einer Situation, in der der Beitrag zur gesetzlichen Rente in jedem Fall steigt. Wir können natürlich sagen: Wir lassen alles, wie es ist. Das hieße dann aber, dass der Beitrag steigt und das Rentenniveau trotzdem immer weiter sinkt. In dem Falle würde ich als junger Mensch auch irgendwann sagen, da mache ich nicht mehr mit. Genau deshalb sagen wir, das System muss attraktiv bleiben, und das geht nur über Leistungsanhebung.

Aber auch die muss bezahlt werden.

Buntenbach Deshalb müssen wir wieder dahinkommen, dass die Beiträge paritätisch finanziert werden.

Moment. Die Arbeitgeber zahlen doch den gleichen Beitrag.

Buntenbach Ja, aber nach dem heutigen Modell muss der Arbeitnehmer zusätzlich zu seinem gesetzlichen Rentenbeitrag vier Prozent privat vorsorgen. Inzwischen ist klar, dass man den Lücken privat gar nicht hinterhersparen kann, die in der gesetzlichen Rente gerissen worden sind – und über den Kapitalmarkt ist das viel riskanter und teurer. Warum können die Arbeitgeber nicht einen ähnlichen Beitrag übernehmen und alles geht in die Stärkung der gesetzliche Rente? Zudem kann und muss man auch den Bundeszuschuss erhöhen. Und Dinge wie die Angleichung der Ost- und Westrenten und die Mütterrente dürfen nicht mehr über Beiträge finanziert werden, sondern mit Steuermitteln.

Sie fordern Ideen für die Rente, die über 2030 hinausgehen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat jüngst gesagt, dafür sei es schlicht zu früh. Sind Ihre Pläne unseriös?

Buntenbach (lacht) Wir denken nur in Zeiträumen, in denen auch Martin Schulz' Parteifreundin Andrea Nahles vor dem Wahlkampf noch nachgedacht hat. Gerade bei der Alterssicherung muss man langfristig planen. Das heißt ja nicht, dass das alles in Stein gemeißelt ist.

Was schwebt Ihnen also vor?

Buntenbach Wir müssen wieder stärker darüber nachdenken, wen wir in den Schutz der Sozialversicherungen einbeziehen. Was ist mit den Selbstständigen, die nicht anderweitig abgesichert sind? Die sollten unbedingt rein. Wir müssen auch darüber reden, wie Auftraggeber mit in die Verantwortung genommen werden, damit Soloselbstständige nicht alles alleine schultern müssen. Außerdem müssen wir die kommenden Jahre dazu nutzen, mehr Frauen in Erwerbstätigkeit zu bringen und mehr prekäre in vernünftig abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln. Das bringt Steuer- und Beitragseinnahmen, die das Rentensystem stabilisieren.

Die FDP möchte sich ganz vom starren Renteneintrittsalter trennen. Gute Idee?

Buntenbach Überhaupt nicht. Reiche können sich früher zurücklehnen und die Rente genießen, während Ärmere länger arbeiten müssen. Und auch die ständige Drohung, man müsse ein höheres Renteneintrittsalter haben, ist Blödsinn. Was wir benötigen, ist ein realistisches Alter.

Ist 65 schon zu hoch?

Buntenbach Nein, 65 war ein gutes Renteneintrittsalter – wenn berücksichtigt ist, dass wer nicht mehr kann oder schon ewig arbeitet, auch früher raus kann. Die Anhebung auf 67 war aber nichts anderes als eine verkappte Rentenkürzung, weil kaum jemand so lange im Job bleiben kann.

Dann erklären Sie doch mal den Umstand, dass schon heute jeder neunte 65- bis 74-Jährige erwerbstätig ist, doppelt so viele wie 2006. So ausgebrannt können die nicht sein.

Buntenbach Wer länger im Job bleiben kann und will, der soll das auch dürfen. Aber allein die Zahl, die Sie nennen, zeigt ja: Das ist eine sehr kleine Gruppe. Und ich behaupte mal, viele von ihnen müssen arbeiten gehen, weil sie sonst mit ihrer Rente nicht über die Runden kämen. Aber viel mehr Arbeitnehmer schaffen es nicht bis zum Renteneintrittsalter und müssen hohe Abschläge in Kauf nehmen.

Ist es nicht Aufgabe der Gewerkschaften, Arbeitsbedingungen durchzusetzen, damit mehr Menschen das Renteneintrittsalter erreichen?

Buntenbach Natürlich und wir tun da auch unser Möglichstes. Aber die Politik muss die richtigen Regeln setzen und die Arbeitgeber müssen auch mitspielen. Von den Arbeitgebern vernehmen wir ja gerade gegenteilige Töne: Da wird versucht, unter dem Deckmäntelchen der Digitalisierung die Arbeitsbedingungen eher zu verschlechtern – etwa durch eine Aufweichung der Ruhezeit-Regelungen. Da wünsche ich mir mehr Weitsicht vom Sozialpartner.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein gutes Renteneintrittsalter?

Buntenbach Wir müssen für die Menschen flexiblere Übergänge von der Arbeit in die Rente hinbekommen, als sie heute möglich sind. Am besten wäre ein Korridor zwischen 60 und 67, in dem man langsam aus dem Arbeitsleben gleitet – also nicht mehr voll arbeitet. Die Details ließen sich tariflich ausgestalten. Stattdessen hängen wir an starren Altersgrenzen. Die Arbeitgeber und die Politik müssen einfach von dieser Entweder-oder-Mentalität wegkommen, dass man immer nur 100 Prozent oder gar nicht arbeitet.

Es gibt doch die Flexi-Rente.

Buntenbach Ja, aber die bringt bei weitem nicht das, was nötig wäre. Da ist die nächste Bundesregierung am Zug.

Das Gespräch führte Maximilian Plück.

(maxi)
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