Lehren aus der Krise Das Ende des Turbo-Kapitalismus

Düsseldorf (RPO). Die Finanzkrise macht Bankern, Politikern und den Durchschnittsbürgern Sorgen. Aber wird die Wirtschaft aus den aktuellen Entwicklungen lernen, damit sich so etwas nicht wiederholt? Überhöhte Renditeforderungen und Risikobereitschaft haben die Implosion der Finanzmärkte herbeigeführt. Vielleicht folgt eine Zeit der Besonnenheit - wenn die Krise verarbeitet ist.

Die Finanzmarktkrise schnell erklärt
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In diesen Tagen ist es in New York, an der Wall Street ganz deutlich zu sehen. Was für viele nur abstrakt als Finanz-, Immobilien- oder Bankenkrise durch die Medien geistert, ist hier greifbar. Vor der Zentrale von der bankrotten Investmentbank Lehman Brothers holen ehemalige Angestellte ihre privaten Habseligkeiten, trösten sich untereinander, nehmen Abschied.

Das Traditionsunternehmen und seine Pleite waren der vorläufige Höhepunkt der Krise um Profitgier und Investment-Harakiri. Dabei ist das Schicksal von Lehman Brothers sowohl Symptom als auch Ursache. Das rein aufs Investmentbanking ausgelegte Geschäftsmodell ist auf dem absteigenden Ast.

Die Investoren und das Management forderten im Renditerausch immer höhere Gewinne. Getreu dem alten Muster "Höheres Risiko = höhere Rendite" entstand in dem Geschäft mit minderwertigen Krediten eine gefährliche Eigendynamik, die im letzten Sommer zum Kollaps des zweifelhaften Systems führte. Tausende US-Bürger konnten ihre "Subprime Loans" nicht mehr bedienen, das Kartenhaus brach in sich zusammen.

Nach und nach kamen immer neue Schreckensnachrichten - auch von Unternehmen, denen man das gar nicht zugetraut hätte. Sie alle hatten sich verzockt, Northern Rock, Freddie Mac, die IKB oder die Sachsen LB. Doch es dauerte, bis das wahre Ausmaß durch manch offenkundig geschönte Bilanz durchschimmerte. Und jetzt gehen selbst bei einer Riesenbank wie Lehman Brothers die Lichter aus, andere hatten noch Glück.

Comeback der Langweiler

Auch die Wirtschaft hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Experten rechnen mit einem Comeback der sogenannten Universalbanken, die nicht nur Investmentbanking betreiben, sondern über weitere Standbeine wie dem Privatkundengeschäft breiter aufgestellt sind. In Krisenzeiten bewährt sich diese Strategie, nicht alles auf eine Karte zu setzen, wie der Einstieg der Deutschen Bank bei der Postbank zeigt. Das Business wurde zwar lange als langweilig verpönt, doch in diesen Zeiten ist Sicherheit gefragt.

Auf der anderen Seite gibt es eine Tendenz, sich verstärkt auf den Heimatmarkt zu konzentrieren. Die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank ist ein Beispiel dafür, auch wenn hier noch weitere Faktoren eine Rolle spielten. Diese Selbstbeschränkung ist ein Lerneffekt aus den Entwicklungen der letzten eineinhalb Jahre.

Politik will strengere Aufsicht

Auf Seiten der Politik gibt es Überlegungen, wie man das geschehene Marktversagen künftig vermeiden kann. Die Unionsfraktion im Bundestag bereitet einem Bericht der "Frankfurter Rundschau"zufolge einen Vorstoß für eine schärfere Finanzmarktkontrolle vor. "In meiner Partei wächst die Überzeugung, dass der Markt es allein nicht richten kann", sagte der finanzpolitische Sprecher der Union, Otto Bernhardt, dem Blatt. Noch in diesem Herbst werde seine Fraktion ein Konzept für eine schärfere Aufsicht vorlegen.

Außerdem solle eine "eine bessere Aufsicht der Ratingagenturen" erfolgen. Beide Forderungen sind nach Informationen des Blattes auch in einem Papier einer SPD-Arbeitsgruppe unter Leitung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) enthalten. "Wir setzen auf internationale Regulierungen, da wir es mit einem globalen Problem zu tun haben", sagte der SPD-Finanzpolitiker Florian Pronold der "FR". Die Grünen verlangten gar nach einer staatlichen Aufsicht auf europäischer Ebene.

"Das Schlimmste steht uns noch bevor"

Doch zunächst muss die aktuelle Krise verdaut werden. Eine Besserung, geschweige denn ein Ende, ist derzeit nicht abzusehen. EZB-Direktoriumsmitglied Gertrude Tumpel-Gugerell sagte der "Zeit", "die Entwicklungen der letzten Tage zeigen, dass die Korrekturen an den Finanzmärkten noch nicht abgeschlossen sind".

Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter sagte dem Sender hr-info, er rechne nicht mit einer raschen Rückkehr zur Normalität auf dem Geldmarkt. Die Abschwungstendenz, die die Weltwirtschaft nun schon seit einem Jahr eingeschlagen hat, werde sich deshalb nicht so leicht überwinden lassen.

Kreditstrategie-Chef Philip Gisdakis von der Unicredit geht sogar davon aus, dass der Höhepunkt der Krise noch kommt. "Das Schlimmste steht uns noch bevor", sagte der der "Süddeutschen Zeitung". Auch das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hält eine dramatische Verschärfung für möglich. Sollten in den USA weitere Institute ins Wackeln geraten und die US-Regierung erneut eingreifen, "würde die Gefahr heraufbeschworen, dass die USA selbst an die Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit geraten", sagte der Weltwirtschaftsexperte des Instituts, Axel Lindner, der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".

Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter sagte dem Sender hr-info, er rechne nicht mit einer raschen Rückkehr zur Normalität auf dem Geldmarkt. Die Abschwungstendenz, die die Weltwirtschaft nun schon seit einem Jahr eingeschlagen hat, werde sich deshalb nicht so leicht überwinden lassen.

Die deutsche Volkswirtschaft kann nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von der internationalen Finanzmarktkrise "nicht völlig unberührt bleiben". Viele Experten fürchten sogar, dass die derzeitigen Entwicklungen auch auf die Realwirtschaft übergreifen.

Für einen Teil der Belegschaft von Lehman Brothers gibt es unterdessen Hoffnung. Die britische Barclays Bank, die noch am Wochenende nicht als Retter auftreten wollte, verleibte sich nun die Filetstücke zu einem Sonderpreis ein. Was die "Financial Times" als "Leichenfledderei" umschreibt, ist vielleicht das - vorerst - letzte Zucken des Turbo-Kapitalismus.

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