Interview mit dem slowakischen "Euro-Rebellen" "Der Rettungsschirm rettet uns nicht"

Düsseldorf (RP). Als letztes und einziges Land der Euro-Zone könnte die Slowakei mit einem Nein zum Rettungsschirm die gesamte EU-Schuldenpolitik noch zum Scheitern bringen. "Warum sollen die ärmeren Slowaken den reicheren Griechen helfen?" Das fragt sich Richard Sulik, Chef der mitregierenden liberalen Partei Freiheit und Solidarität (SaS), der als "Euro-Rebell" EU-weit Aufsehen erregte, im folgenden Interview mit unserem Korrespondenten Rudolf Gruber in Bratislava.

Der Euro-Rettungsschirm ESM
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Foto: dpa, Boris Roessler

Wie stark ist der Druck aus Brüssel auf Sie und Ihre Regierung, dem EU-Rettungsschirm zuzustimmen?

Sulik: Direkt spüre ich keinen Druck, das geschieht eher auf subtile Weise, über Personen und Institutionen hier in der Slowakei. Beliebt macht man sich mit meiner Haltung in Brüssel oder Berlin natürlich nicht. Kürzlich war der deutsche Bundespräsident Christian Wulff hier zu Besuch. Er hat mir versichert, dass er unsere wesentlichen Befürchtungen teile.

Was befürchten Sie?

Sulik: Die EU versucht, die Schuldenkrise mit neuen Schulden zu lösen. Das kann nicht funktionieren. Wir lehnen es ab, noch einige Milliarden für den erweiterten Rettungsschirm ESFS draufzulegen.

Das gesamte EU-Konzept gegen die Schuldenkrise hängt von Ihrem Verhalten ab, weil dem alle Euro-Länder zustimmen müssen. Bleiben Sie dabei, am Dienstag im Parlament mit Nein zu stimmen?

Sulik: Ja, wir halten unser Wort. Aber die SaS-Fraktion hat ja nur 22 von 150 Stimmen. Deshalb kann es immer noch eine Mehrheit für den Rettungsschirm geben, wenn die linke Opposition mit den übrigen drei Koalitionsparteien mit Ja stimmt.

Sie selbst hatten sich für die Einführung des Euro in der Slowakei stark engagiert. Bereuen Sie das jetzt?

Sulik: Ich bereue nicht, dass wir uns für den Euro entschieden haben. Aber mich ärgert, dass wir zu gutgläubig waren, als wir vor einem Jahr dem Rettungsschirm EFSF beitraten. Mittlerweile gilt heute nicht mehr, was gestern noch galt. Zum Beispiel wurde die No-bail-out-Klausel außer Kraft gesetzt, die besagt, dass die Gemeinschaft nicht für die Schulden eines Mitglieds haftet. Dann wurde gesagt, dass nur Länder Kredite kriegen, die in der Lage sind, sie zurückzuzahlen, was bei Griechenland mittlerweile ausgeschlossen werden kann. Dann hat man gesagt, wir brauchen keinen Rettungsschirm, jetzt brauchen wir doch einen, aber nur für drei Jahre. Dann sagte man uns, es wird keinen dauerhaften Rettungsschirm geben, jetzt ist auch das nicht mehr wahr. Dann hieß es, nur Länder würden gerettet, keine Banken; und auch das stimmt nicht mehr.

Deutschland und andere Euro-Länder appellieren an die europäische Solidarität der Slowaken. Kümmert es Sie nicht, dass durch Ihren Widerstand gegen den Rettungsschirm das Vertrauen in den Euro verloren geht?

Sulik: Das Vertrauen in den Euro ist doch schon verlorengegangen. Dafür tragen jene Politiker die Verantwortung, die ständig ihre Meinung ändern. Das Vertrauen in den Euro kommt nur zurück, wenn wir endlich klare Regeln haben und diese auch einhalten.

Sie sind also dafür, Griechenland pleite gehen zu lassen?

Sulik: Warum nicht? Wer seine Schulden nicht begleichen kann, muss Insolvenz anmelden, das ist ein ganz normaler Vorgang. Der Rettungsschirm rettet uns nicht, er verschuldet uns alle in der Euro-Zone und fesselt uns aneinander.

Sie wussten doch, dass Griechenland bereits Mitglied der Euro-Zone war, als die Slowakei beitrat?

Sulik: Das ist richtig. Aber wir konnten nicht wissen, dass sich die EU nicht an die eigenen Regeln hält. Als wir der Euro-Zone beitraten, war uns klar, dass die Slowakei niemals in die Lage kommen dürfe, in der heute Griechenland steckt. Und jetzt kommen alle und rufen: Wo ist eure Solidarität? Welche Solidarität? Wir sind das ärmste Land in der Euro-Zone. Das monatliche Durchschnittseinkommen eines Slowaken beträgt 760 Euro, in Griechenland ist es doppelt so hoch. Auch deren Renten sind viel höher als bei uns. Wir haben dem Volk zweimal die härtesten Opfer zugemutet, um 2004 der EU und 2009 dem Euro beitreten zu können. Warum sollen jetzt die ärmeren Slowaken den reicheren Griechen helfen?

Ist bei Ihrem Widerstand nicht auch Populismus im Spiel?

Sulik: Nein. Unsere Haltung bringt uns zwar viele Sympathien, aber deswegen nicht mehr Stimmen. Beispielsweise gefällt vielen Slowaken unsere liberale Gesellschaftspolitik nicht.

Zur Lösung der Schuldenkrise wird "mehr Europa" gefordert. Das bedeutet aber, dass jedes EU-Mitglied mehr an Souveränität abgeben muss, beispielsweise zugunsten einer gemeinsamen Finanzpolitik. Sind Sie auch gegen mehr Europa?

Sulik: Ich bin gegen eine gemeinsame Finanzpolitik, denn die brauchen wir nicht, wenn jedes Land seine Schulden selbst bezahlt. Warum sollen 50 oder 100 Leute in Brüssel, die niemand direkt gewählt hat, entscheiden dürfen, dass wir mehr Souveränität abgeben müssen? Zugleich aber erteilen uns dieselben Leute ständig Lehren in Demokratie. Eingriffe in die Souveränität sind für mich nur über Referenden vorstellbar.

Mit Ihrem Nein gegen den Rettungsschirm stimmen Sie auch gegen die eigene Regierung, die damit ihre Mehrheit verlöre. Spekulieren Sie mit Neuwahlen?

Sulik: Nein, aber ich fürchte Neuwahlen nicht. Aber Koalition kann ja weiterarbeiten. Wo steht geschrieben, dass die Regierung für alles eine eigene Mehrheit haben muss? Natürlich wird es bestimmte Leute geben, die daraus eine Regierungskrise machen wollen. Für mich ist der Verlust der Regierungsmehrheit kein Grund, die Koalition zu verlassen.

Mit Richard Sulik sprach Antje Höning.

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