Wie eine deutsche Stadt die Finanzkrise erlebt Die Angst der Banker vor dem Absturz

Düssldorf (RP). Nach dem Zusammenbruch weiterer Banken bangen auch hierzulande Angestellte in der Finanzbranche um ihre Zukunft. In der Mittagspause gibt es daher nur noch ein Thema: die Krise. Noch regiert das Prinzip Hoffnung – aber der Kaffee nach der Mahlzeit wird schon kleiner.

 In der Mittagspause sprechen die Bankerin Nadine Raffler und ihr Kollege nur über die Krise. "Wir müssen die neuesten Nachrichten schnell einordnen und analysieren", sagt Raffler.

In der Mittagspause sprechen die Bankerin Nadine Raffler und ihr Kollege nur über die Krise. "Wir müssen die neuesten Nachrichten schnell einordnen und analysieren", sagt Raffler.

Foto: RP, Werner Gabriel

Die leeren Currywurstschalen stehen längst zusammengeschoben am Ende des Stehtisches, da diskutieren sie immer noch. Die nächsten Gäste bestellen Pommes mit Majo, es riecht nach Frittenfett und dem Grünkohleintopf vom Nachbarstand, Passanten eilen mit ihren Einkaufstüten Richtung Parkhaus. Alles wie immer, zur Mittagszeit auf dem Delikatessenmarkt am Karlplatz, direkt neben dem Düsseldorfer Bankenviertel.

Nichts ist wie immer für die Gruppe, die hier mit ernsten Mienen vor dem Imbissstand steht, die Händen tief in den Taschen ihrer Anzüge vergraben. Banker.

Es gibt nur ein Thema

An den Feinkostständen und Essensbuden auf dem Markt trifft sich die Düsseldorfer Finanzbranche in der Pause. Hier drehen sich die Gespräche derzeit nur um ein Thema: die Krise. "Klar. Das muss auch so sein." Nadine Raffler könnte auf dem Cover des Ratgebers "Wie werde ich erfolgreiche Karrierefrau" abgebildet sein: jung, schlank, im schicken Business-Dress gekleidet. Sie und ihre Kollegen vor dem Bratwurststand arbeiten bei einer Schweizer Privatbank. "Es ändert sich so viel zurzeit in der Branche", sagt Raffler. "Da müssen wir schnell reagieren und die neuesten Nachrichten sofort analysieren und einordnen." Seitdem ist die Mittagspause zur Lagebesprechung geworden.

Fast täglich erschüttern neue Schreckensnachrichten von Bankenpleiten und Milliardenverlusten die Branche. Worte wie "Kollaps” fallen, Vorstandsvorsitzende werden suspendiert, Finanzminister schnüren Rettungspakete. Die Anleger werden nervös – und die Banker versuchen zu beschwichtigen. Derzeit ist die Branche vollauf damit beschäftigt, die Depots der Kunden umzuschichten: weniger riskante Aktien, mehr sichere Zinsanlagen. "Ich telefoniere fast den ganzen Tag über mit Kunden", erzählt Raffler. "Die Anleger machen sich Sorgen und brauchen jetzt ihre Beratung."

Bloß keine Panik

Auf dem Karlplatz besprechen sie, was sie ihren Kunden empfehlen sollen. Hier malen sie sich den schlimmsten Fall aus: die Pleite mehrerer großer europäischer Privatbanken. Aber auch den besten Fall: keine weiteren Hiobsbotschaften. "Man muss auf alles vorbereitet sein", sagt Raffler. Eine Aussage, wie die Krise ausgeht, könne man allerdings nicht treffen, dazu sei es noch zu früh. Was jetzt gilt, ist das oberste Gebot der Finanzbranche: Ruhe bewahren. Bloß nicht in Panik verfallen. Wenn jetzt Hysterie ausbricht, stürzt alles zusammen. Dann fallen die Banken um wie Dominosteine, dann verschachern die Anleger ihre Aktien zu Spottpreisen – und dann brechen die Kurse ein. Das ist Börsenpsychologie.

"Es gibt keinen Grund, nervös zu werden." Das sagt Dennis Mieruch seinen Kunden. Und das sagt er auch zu sich selbst, wenn er morgens den Fernseher einschaltet und die Bilder von Bankenpleiten in Amerika sieht. "Natürlich muss man erstmal schlucken." Mieruch arbeitet bei der Dresdner Bank und hat sich in der Mittagspause mit seiner Kollegin Oi-Wah Ng beim Bazar-Café an der Ecke einen Tee im Pappbecher geholt. Früher hat er diese Dreiviertelstunde genutzt, um abzuschalten vom Tagesgeschäft. Jetzt nutzt er die Pause, um sich umzuhören. "Wir tauschen uns mit Kollegen aus der Branche aus." Im Bazar-Café trifft man um diese Zeit immer Banker. "Die Gespräche helfen dabei, wieder klar zu sehen und die Lage objektiv einzuschätzen. Man bekommt einen besseren Überblick”, erzählt er. "Die Krise ist nicht so dramatisch, wie es in den Medien rüberkommt", glaubt er. Bei der Dresdner Bank haben sie ausführlich besprochen, wie sie in momentanen Situation mit den nervösen Sparern umgehen: Auf Einlagensicherung verweisen – und immer ruhig bleiben.

Die Angst setzt sich klammheimlich fest

Bisher klappt das mit dem Ruhigbleiben ganz gut. Der Milchkaffee beim Starbucks-Café neben dem Karlplatz schmeckt wie immer, an der Kasse stehen sie Schlange. "Die Banker kommen noch", sagt der Mitarbeiter. "Aber sie bestellen jetzt kleinere Becher." Er grinst. "Nee, das ist kein Witz. Muss aber nicht an der Bankenkrise liegen." Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos – so beschreiben die beiden Banker am Ausgabetresen die Krise.

Doch man hört auch anderes. Unterschwellig hat sich bei manchen die Angst eingeschlichen. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. "Einige befürchten Entlassungen", sagt ein Angestellter einer kleinen, aber renommierten Privatbank. Doch darüber redet man nicht. Banker dürfen keine Angst zeigen. Denn aus Angst wird Panik – und die darf niemals ausbrechen. Börsenpsychologie.

Die Kundschaft ist nervös

Mieruch und seine Kollegin sind auf dem Rückweg zur Dresdner Bank. Nervöse Kunden beruhigen. "Die Anleger müssen wirklich keine Angst um ihr Erspartes haben." Die Dresdner blieb von Verlusten durch faule Immobilienkredite weitgehend verschont. Mieruch glaubt deshalb nicht an einen Zusammenbruch des ganzen Systems. "Das gibt die Faktenlage nicht her." Er ist 27 Jahre alt und trägt den Anzug schon so lässig, als sei er in einem zur Welt gekommen. Mieruch mag seinen Job. Sogar in Zeiten wie diesen. Er ist jung – und optimistisch: "Am Ende des Jahres steht der Dax bei 6800 Punkten." Gestern schloss er bei 5807 Punkten.

Seine Kollegin Oi-Wah Ng lächelt still in sich hinein. "Naja, vielleicht bei 6 600.” Sie ist seit 20 Jahren in der Branche. Sie hat schon einiges erlebt. "Was haben die ausländischen Kunden gemeckert, als die Kurse in Amerika steil nach oben kletterten." Viel zu schwerfällig sei das Finanzsystem in Deutschland bei der Kreditvergabe. Immer diese lästigen Fragen nach Eigenkapital der Anleger. "Jetzt sind sie froh, dass wir so misstrauisch waren."

Deshalb glaubt sie an 6600 Punkte zum Jahresende: Weil die Deutschen vorsichtige Menschen sind. Und weil die Lage nicht erwarten lasse, dass es noch schlimmer kommt. Und weil Kursverläufe nicht anderes sind als Stimmungsbarometer. Oi-Wah Ng kennt die Börsenpsychologie: Glaube ganz fest daran, dass es bergauf geht. Dann geht es auch bergauf.

(RP)
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