Analyse Die deutsche Angst vor der Deflation

Düsseldorf · Im Januar 2015 sind die Preise in Deutschland erstmals seit der Lehman-Krise gefallen: Die Inflationsrate betrug minus 0,3 Prozent. Grundsätzlich sind fallende Preise ein Problem, aber nicht, wenn es am Ölpreis liegt.

Was Inflation konkret bedeutet
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Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Manchmal versteht man die Deutschen nicht. Seit der Hyperinflation von 1923, als das Ersparte über Nacht wertlos wurde und die Bürger ihre Scheine nicht so schnell zum Kaufmann tragen konnten, wie diese an Wert verloren, hat sich die Angst vor steigenden Preisen in das kollektive Gedächtnis gebrannt. Die hohe Inflation in den 70er Jahren trug mit zum Sturz der Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) bei, aus Angst vor einer Inflation lehnten viele Deutsche 1999 die Euro-Einführung ab. Nun sinken die Preise in Deutschland. Im Januar 2015 fielen sie um 0,3 Prozent gegenüber Januar 2014. Und wieder sorgen sich die Deutschen - nun vor einer Deflation.

Was ist Deflation, und warum ist sie gefährlich? Von Deflation sprechen Ökonomen, wenn die Preise auf breiter Front und über längere Zeit fallen. Während sich der einzelne Verbraucher freut, wenn das Handy günstiger wird, ist Deflation für die Volkswirtschaft schädlich. Die Gefahr: In Hoffnung auf weiter fallende Preise halten sich Konsumenten mit Anschaffungen zurück, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das Wachstum sinken. "Vor allem aber leiden die Unternehmen: Ihre Erlöse schmelzen, aber ihre Schulden und ihre Kosten bleiben. Das kann viele Betriebe in die Insolvenz treiben", sagt Torsten Schmidt, Konjunkturexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Japan etwa hat ein ganzes Jahrzehnt verloren, weil Deflation und Rezession das Land in den 90er Jahren im Griff hielten.

Was kann man gegen Deflation tun? Gegen Inflation kann die Notenbank eines Landes vorgehen. Durch eine Anhebung der Zinsen kann sie das Geld knapper machen, der Preisanstieg wird gebremst. Gegen Deflation ist die Notenbank dagegen weitgehend machtlos. Wenn der Leitzins einmal bei null ist, kann sie ihn nicht weiter senken. In dieses gefährliche Fahrwasser hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) begeben. Sie hat den Leitzins 2014 bereits nahe null (auf 0,05 Prozent) gesenkt.

Haben wir Deflation? "Eindeutig nein", sagt RWI-Experte Schmidt. Die Wirtschaftsweisen kommen zu einer ähnlichen Einschätzung: Der aktuelle Rückgang der Verbraucherpreise sei nicht Ausdruck einer allgemeinen Kaufzurückhaltung, sondern vor allem dem Rückgang der Ölpreise geschuldet. So gingen die Preise für Energie (Heizöl, Benzin, Diesel, Gas, Strom) im Januar um neun Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Da Energie eine wichtige Rolle im Warenkorb des Durchschnittsverbrauchers spielt, schlägt diese Preissenkung entsprechend durch. "Doch der Rückgang der Ölpreise hat keinen dauerhaften Effekt", betont Schmidt. Selbst wenn es bei den niedrigen Preisen bleibt, würde der Verbraucherpreisindex (alle anderen Entwicklungen als konstant angenommen) schon im nächsten Jahr nicht mehr fallen, sondern gleich bleiben. Die Inflation läge dann bei null Prozent.

Um den Einfluss der schwankenden Energiepreise zu eliminieren, berechnen die Statistiker daher auch eine sogenannte Kern-Inflationsrate. Bei dieser sind zudem die Preise für Nahrungsmittel ausgeklammert, da auch sie von temporären Ereignissen wie Missernten und Wetterkapriolen beeinflusst werden. Im Januar 2015 lag die Kerninflationsrate bei 1,1 Prozent. Das heißt, die Verbraucherpreise (ohne Energie und Lebensmittel) stiegen gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Prozent - und bieten erst recht keinen Anlass zur Sorge.

Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass die Preise sinken. Nach der Rezession infolge der Lehman-Pleite 2008 waren sie schon einmal auf Talfahrt, früher nach zeitweise fallenden Ölpreisen ebenfalls.

Warum sinken die Energiepreise? Der Rückgang der Energiepreise hat nichts mit krisenhafter Verbraucher-Zurückhaltung zu tun, sondern resultiert aus der Revolution auf dem globalen Energiemarkt. Durch den Erfolg des Frackings in den USA hat sich die Zahl der Öl- und Gasanbieter erhöht. Da die im Opec-Kartell organisierten klassischen Förderländer wie Saudi-Arabien den Ölhahn im Gegenzug nicht zugedreht haben, hat sich das globale Energieangebot kräftig ausgeweitet. Weil zugleich die weltweite Öl-Nachfrage wegen der mauen Konjunktur in Europa und des sich abschwächenden Wachstums in China nicht steigt, fallen die Preise entsprechend. Zum Vergleich: Ein Barrel (159 Liter) Rohöl der Sorte Brent kostet derzeit 49 Dollar. Mitte 2008 kostete ein Fass stolze 150 Dollar.

Ganz nebenbei: Das ist von der Opec durchaus so gewollt. Die Saudis hoffen, dass die Fracking-Unternehmen in den USA so niedrige Preise nicht lange aushalten und pleitegehen. Es heißt, Fracking sei auf Dauer erst ab einem Ölpreis von 60 Dollar pro Barrel rentabel.

Warum bekämpft die EZB Deflation? Vor einer Woche hatte die EZB den Kauf von Staatsanleihen für 1,14 Billionen Euro angekündigt und dies mit der drohenden Deflation begründet. Nun weiß EZB-Präsident Mario Draghi sehr wohl, dass in Deutschland keine Deflation herrscht. Doch für Südeuropa sieht er das anders. In Griechenland sanken die Verbraucherpreise in den vergangenen beiden Jahren um 0,9 und 0,4 Prozent. Draghi will mit seiner umstrittenen Geldspritze nun zwei Dinge erreichen: Er will zum einen die Glaubwürdigkeit der EZB wiederherstellen, die seit Langem ihr Ziel verfehlt, die Inflationsrate bei knapp zwei Prozent zu halten.

Zum anderen will er mit der Billionen-Spritze die Kreditvergabe und damit die Konjunktur in Südeuropa ankurbeln. Die Bundesbank bezweifelt nicht nur, dass es Deflation gibt, sondern sieht hier auch das Mandat der EZB überschritten, die anders als die amerikanische Notenbank keine Konjunkturpolitik betreiben darf. Das RWI geht davon aus, dass sich die Lage wieder entspannt. Für 2015 rechnen die Experten mit einer Inflation von 1,0 Prozent für Deutschland und mit 0,8 Prozent für die Eurozone. Zu Deflations-Panik besteht also kein Anlass.

(RP)
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