Euro-Krise Experten: Portugal könnte als nächstes fallen

(RP). Gemessen an der irischen Neuverschuldung von 32 Prozent müssten sich die Portugiesen eigentlich keine Gedanken darüber machen, ob sie möglicherweise auch unter den Rettungsschirm der Europäischen Union flüchten sollen. 7,3 Prozent beträgt das aktuelle Staatsdefizit der Iberer, auf 4,6 Prozent soll es im kommenden Jahr sinken, nachdem die Regierung in Lissabon bereits drastische Sparprogramme aufgelegt hat. Und Portugals Banken sind auch deutlich gesünder als jene auf der grünen Insel.

Hintergrund: Der Euro-Rettungsschirm
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Foto: afp, GIUSEPPE CACACE

Entsprechend weisen die Portugiesen es weit von sich, dass sie wie die Iren Hilfe ihrer europäischen Partner nötig haben könnten. "Wir haben niemals eine Immobilienblase gehabt, und unser Haushalt ist mit dem irischen nicht zu vergleichen", erklärte gestern der sozialistische Regierungschef José Socrates.

Das ist aber nur der eine Teil der Wahrheit. Der andere dokumentiert sich in einer Gesamtverschuldung von 161 Milliarden Euro, und das sind immerhin 82 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in Portugal. Fast 20 Milliarden Euro muss das Land allein im ersten Halbjahr 2011 refinanzieren. Da ist es kein Wunder, dass die Investoren für den Kauf portugiesischer Staatsanleihen mittlerweile eine Verzinsung von mehr als 6,5 Prozent fordern.

Das Misstrauen der Märkte ist groß. Kein Wunder also, dass Experten glauben, das Land am Südwest-Zipfel Europas könnte fallen. "Portugal ist in Gefahr, der nächste zu sein", sagt Holger Sandte, Chefvolkswirt der WestLB. Es gibt seit Jahren kein Wachstumsmodell, die Wirtschaft leidet unter einer teils eklatanten Wettbewerbsschwäche. Über ein Jahrzehnt hinweg betrug das durchschnittliche Wachstum nach Angaben von Sandte nur 1,2 Prozent. Das Land lebt einerseits vom Tourismus, andererseits auch von der Textilbranche und kämpft vor allem da mit preisgünstigen Konkurrenten aus Asien. Und das Sparprogramm mag zwar beim Senken der Neuverschuldung helfen — für die Wirtschaft ist es das pure Gift. Die Arbeitslosenquote in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land ist zwar zuletzt leicht gesunken, lag aber immer noch bei rund 10,6 Prozent.

Hinter den Portugiesen kommen die Spanier. Das Platzen der Immobilienblase hat die Baubranche schwer getroffen. Viele verloren ihre Jobs, der private Konsum liegt brach. Spanien muss 2011 mehr als 60 Milliarden Euro an Zinsen und Tilgungen aufbringen. Das ist viel Holz. "Spanien könnte auch ein Kandidat für den Rettungsschirm sein, selbst wenn das Land schon bewiesen hat, dass es gleichzeitig sein Defizit abbauen und wachsen kann und auch über starke Hightech-Unternehmen verfügt", sagt Volkswirt Sandte.

Nach seiner Einschätzung und der seiner Kollegen bei der WestLB würde der aufgespannte Rettungsschirm der Europäischen Union übrigens für alle Wackelkandidaten reichen. Ein Schirm für alle Zwecke: Die Griechen lebten jahrzehntelang über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse, den Iren brachen ihre maroden Banken das Genick, die Portugiesen haben so gut wie kein Wachstum, die Spanier hatten ihre Immobilienkrise. So viel Problem-Vielfalt lässt Sandte sogar Tolstoi und den ersten Satz aus "Anna Karenina" bemühen: "Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich."

(RP)
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