Interview mit Wirtschaftsweisem Franz: "Pendlerpauschale abschaffen"

Düsseldorf · Der Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, sprach mit unserer Redaktion über Eurokrise, Steuerreformen und Tarifverträge. Er fordert unter anderem das Ende der Pendlerpauschale.

 Der Ökonom Wolfgang Franz fordert Steuerreformen.

Der Ökonom Wolfgang Franz fordert Steuerreformen.

Foto: afp, JOHANNES EISELE

Der Leiter des Rates der "Wirtschaftsweisen", Wolfgang Franz, erwartet weitere Kosten durch die Eurokrise — und fordert eine Steuerreform.

Herr Professor Franz, wie sehen Sie aktuell die Konjunktur in 2013?

Wolfgang Franz Ich habe so kurz vor Heiligabend eine eher beruhigende Botschaft: Nach derzeitigem Stand vieler Konjunkturindikatoren dürfte Deutschland an einer Rezession vorbeischrammen. Allerdings fällt das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts mit 0,8 Prozent in diesem und im nächsten Jahr sehr bescheiden aus. Das ist eine merkliche Konjunkturabkühlung im Vergleich zu den drei Prozent Wachstum, die wir noch 2011 hatten.

Wie schlägt die schwächere Konjunktur am Arbeitsmarkt durch?

Franz Der Arbeitsmarkt bleibt in guter Verfassung. Die Anzahl der Arbeitslosen dürfte nicht wesentlich steigen. Aber die Dynamik beim Beschäftigungsaufbau, die wir seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts erlebt haben, ist zum Erliegen gekommen. Im Vergleich zu den meisten anderen EU-Ländern steht unser Arbeitsmarkt trotzdem gut da, insbesondere, wenn man sich die erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit in manchen Ländern wie Griechenland oder Spanien von rund 50 Prozent vergegenwärtigt.

Wie werden sich die Löhne und Gehälter 2013 entwickeln?

Franz Der Sachverständigenrat geht für das nächste Jahr von einem Produktivitätsfortschritt in Höhe von 0,6 Prozent aus und erwartet eine Preissteigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent. Der gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum beträgt also rund 2 Prozent, den die Tarifvertragsparteien aber nicht ganz ausschöpfen sollten, um einen Beitrag für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu leisten. Denn zur Vollbeschäftigung ist es noch ein gutes Stück des Weges. In den Branchen können die Löhne davon nach oben oder unten abweichen, je nachdem wie hoch der Verteilungsspielraum dort zu veranschlagen ist. Das ist dann Sache der Tarifvertragsparteien.

Kann man Arbeitslosigkeit noch weiter bekämpfen?

Franz Es wird immer schwerer, Arbeitslose zu vermitteln, weil wir uns der Sockelarbeitslosigkeit nähern. Aber wir haben gesehen, dass selbst Problemgruppen des Arbeitsmarkts Chancen auf einen Arbeitsplatz besitzen. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen Jahren jedenfalls zurückgebildet. Selbst wenn für Geringqualifizierte angesichts ihrer niedrigen Produktivität die Entlohnung nicht zum Lebensunterhalt reicht, ist es wesentlich besser, diese Menschen ins Arbeitsleben zu integrieren und ihre Arbeitsentgelte mit dem Arbeitslosengeld II aufzustocken, als gesetzliche Mindestlöhne zu verordnen, welche diese Arbeitsplätze vernichten. Was nützen einem Arbeitslosen Mindestlöhne, wenn es keine Stellen mit dieser Entlohnung gibt?

Wie entwickeln sich die staatlichen Einnahmen 2013?

Franz Die Steuereinnahmen steigen moderat. Bisher hat der Bundesfinanzminister von hohen Einnahmen vor allem bei der Sozialversicherung profitiert. Darauf kann er sich aber nicht immer verlassen. Um die Schuldenbremse ab dem Jahr 2016 nachhaltig einzuhalten, sollte die Bundesregierung Ausgaben und Steuervergünstigungen überprüfen. Der Sachverständigenrat hat hier eine Reihe von unpopulären Vorschlägen gemacht, die bei den Betroffenen sicherlich nicht zu seiner Anbetung führen.

Welche denn?

Franz Die Pendlerpauschale, die Steuerfreiheit bei Zuschlägen für Sonntags- und Nachtarbeit, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen — das sind alles Vergünstigungen, die man begrenzen oder abschaffen sollte. Darüber hinaus gibt es beim reduzierten Mehrwertsteuersatz Regelungen, die an eine Lachplatte grenzen. Ein weihnachtliches Beispiel: Wenn Sie einen Adventskranz kaufen, bei dem frisches Moos charakterbestimmend ist, zahlen Sie nur sieben Prozent Mehrwertsteuer. Wenn der Kranz dagegen aus Trockenpflanzen besteht, beläuft sich der Steuersatz auf 19 Prozent. Und jetzt kommt es: Ein Erlass des Bundesfinanzministeriums besagt, dass Trockenpflanzen mit 19 Prozent durch bloßes Anfeuchten steuerlich nicht zu Frischpflanzen mit 7 Prozent werden.

Zur Euro-Krise: Würden Sie wie viele Beobachter sagen, die Krise habe ihren Höhepunkt überschritten?

Franz Nein, eine solche Aussage ist mir zu riskant. Ob wir das Schlimmste schon hinter uns haben, wird sich weisen. Es gibt eine Reihe Silberstreifen am Horizont. Die Leistungsbilanzdefizite in Spanien und Portugal gehen zurück, weil sie wettbewerbsfähiger wurden und sie wieder mehr exportieren. Griechenland unternimmt beachtliche Anstrengungen und hat seine Neuverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt konjunkturbereinigt stark verringert. Positiv ist zudem, dass die Politik auf der EU-Ebene eine Reihe von Regeln für die Währungsunion erreicht hat, wie etwa den Fiskalpakt. Bei der Bankenregulierung müssen erste Schritte wie Basel III nun umgesetzt und eine Bankenunion sehr sorgfältig vorbereitet werden. Aber mir macht Italien Sorge. Wenn eine neue Regierung die Reformfortschritte von Mario Monti wieder rückgängig machte, triebe das die Zinsen für Italien wieder hoch.

Macht die EZB alles richtig?

Franz Nein. Die EZB hat sich in eine Rolle drängen lassen, die ich nicht gutheiße. Sie ist jetzt die Institution, welche die Finanzmärkte stabilisiert, nämlich aufgrund der Ankündigung von Käufen von Staatsanleihen der Problemländer. Nun ist die Gefahr ist groß, dass die EZB damit zum Staatsfinanzierer wird und in die Abhängigkeit der Politik gerät.

Die Deutschen sind skeptisch.

Franz Wir in Deutschland haben schlechte Erfahrungen mit der früheren Reichsbank, die den Staat finanziert hatte. Statt die EZB den Job machen zu lassen, muss die Politik also weiter an einem langfristigen Ordnungsrahmen für die Währungsunion arbeiten und Brücken dorthin bauen. Da ich weder die EZB-Lösung noch Eurobonds für eine akzeptable Lösung halte, bleibt als Brücke der gemeinsame Schuldentilgungspakt, den der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat. Dabei würden die Staatsschulden oberhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts allmählich in einen Fonds eingelagert, und anschließend tilgt jedes einzelne Land nach festen Regeln seine Schuld.

Wie teuer wird die Euro-Rettung für Deutschland maximal?

Franz Das kann Ihnen seriöserweise niemand genau sagen. Selbst wenn Griechenland freiwillig aus der Euro-Zone ausscheiden würde, hätte das kaum kalkulierbare Folgekosten für uns. Denn wir wissen nicht, ob die Finanzmärkte dann nicht gegen andere Euro-Länder spekulieren würden. Dann aber bestünde die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion. Ich bin für einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. Das wird sicher sehr teuer für uns, aber die Alternative würde vermutlich noch teurer. Die Währungsunion sollte außerdem kein Club sein, in den man eintritt und dann wieder austritt und vielleicht noch mal eintritt.

Birgit Marschall führte das Interview.

(RP/jre)
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