Präsident der EZB Mario Draghi — Mann des Jahres

Frankfurt/Main · Der Italiener an der Spitze der Europäischen Zentralbank hat nach Ansicht vieler Experten den Euro gerettet – gegen die Bundesbank und eine skeptische deutsche Öffentlichkeit.

Das ist Mario Draghi
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Foto: dpa, bjw

Der Italiener an der Spitze der Europäischen Zentralbank hat nach Ansicht vieler Experten den Euro gerettet — gegen die Bundesbank und eine skeptische deutsche Öffentlichkeit.

Der Italiener Mario Draghi ist ein vorsichtiger Mensch. Er war gerade als 43-jähriger Wirtschaftsprofessor zum höchsten Beamten des Schatzministeriums berufen worden, als er einem jungen deutschen Journalisten in nur zwei Stunden das gesamte italienische Wirtschaftssystem erklärte. Als der das seinen Lesern aufschreiben wollte, wehrte der Top-Beamte ab. Nur wenn er den gesamten Text, so wie er veröffentlicht würde, vorab lesen könne, würde er seine Zitate freigeben. Die politische Lage in Italien sei einfach zu prekär. Der Journalist lehnte ab, Draghi hielt sich aber in diesem Ministerium zehn Jahre als Top-Beamter — unter zehn sich abwechselnden Regierungschefs.

Inzwischen ist der einstige Finanzstaatssekretär Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) geworden. Und er hat bereits Geschichte geschrieben: Gegen die Stimme von Bundesbankpräsident Jens Weidmann setzte Draghi durch, dass die oberste europäische Währungsbehörde im Notfall unbegrenzt Staatspapiere von Euro-Schuldnerstaaten kaufen kann. Noch hat die EZB keinen Euro dafür eingesetzt, um italienische oder spanische Staatsschuldpapiere zu kaufen. Aber die Märkte hat Draghi mit seiner spektakulären Aktion beruhigt, nachdem er zuvor bei einer Konferenz in London unmissverständlich klargemacht hatte: "Die EZB ist bereit, zu tun, was immer nötig ist, um den Euro zu erhalten."

Der Mann des Jahres

Der renommierte Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg, Holger Schmieding, attestiert dem EZB-Präsidenten, er habe den Euro und damit auch Deutschland gerettet. Viele Experten sehen ihn als Europas "Mann des Jahres". Keine Frage: Der 65-jährige Mario Draghi ist Ende 2012 auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Dass der Euro kaum gegenüber anderen Währungen nachgegeben hat, dass die horrenden Zinsen für die überschuldeten Euro-Staaten wieder sinken, dass die Euro-Zone nicht mehr akut bedroht ist, gilt auch als Verdienst des Italieners.

Der gebürtige Römer ist, geht man nach gängigen Klischees, alles andere als ein typischer Vertreter seiner Nation. Er repräsentiert die gute Seite der Chaos- und Skandalrepublik Italien: zurückhaltend, sparsam, diszipliniert und jedem Glamour abhold. So wie die vielen "Gutmeinenden", die es in Italien auch gibt und ohne die dieser Staat längst ebenso verrottet wäre wie eine mittelamerikanische Bananenrepublik.

Aber Draghi gilt nicht nur als faktenverliebter Asket, sondern er ist auch gerissen und verschlagen, wenn es um die Durchsetzung seiner Ziele geht. Keiner kann wie er Allianzen schmieden, den rechten Zeitpunkt abpassen und dann mit seiner ganzen überbordenden Intelligenz zuschlagen. Der Streit um den Ankauf von Staatstiteln ist so ein Beispiel. Monatelang stritten die 23 Experten im EZB-Zentralbankrat, dem höchsten Entscheidungsgremium der Bank, ob die Rettungsschirme allein die maroden Euro-Länder vor dem Zusammenbruch bewahren könnten oder es nicht doch der EZB als letzten Retters bedürfe. Nur sie, so hieß es bei den Befürwortern des eigentlich verbotenen Kaufs von Staatspapieren, könne mit ihrer Macht, beliebig viel Geld zu schöpfen, den Euro vor dem Zusammenbruch bewahren. Auch Draghis Vorgänger, der Franzose Jean-Claude Trichet, vertrat diese Ansicht. Er fühlte sich nach den Rücktritten der deutschen Vertreter im EZB-Zentralrat an einer solchen Politik gehindert. Von der Politik entnervt, verließ er sein Amt.

Politischer Taktierer

Draghi legte die Ankaufpläne erst einmal auf Eis, als er im November 2011 den Posten des EZB-Präsidenten übernahm. Danach wartete er geschickt, bis auch den letzten Politikern im stabilitätsverliebten Norden Europas klar war, dass die milliardenschweren Rettungsschirme nicht ausreichten. In dramatischen Appellen stellte er klar, dass die EZB zum Euro stehe. Ernst machte er schließlich im August dieses Jahres — mit der Ankündigung, seine Bank werde im Zweifel unbegrenzt die Titel der überschuldeten Spanier und Italiener kaufen. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel spendete indirekt Beifall. Draghi bewege sich mit seiner Bank innerhalb des Mandats der EZB, sagte sie in ihrem TV-Sommerinterview. Der Italiener hatte die Falken im Zentralbankrat überzeugt. Die Wirtschaftsdaten in der Euro-Zone normalisieren sich seither.

Wer ist dieser Mann, bei dem viele Deutsche zunächst glaubten, er vertrete allein die Interessen des überschuldeten Euro-Landes Italien? Der Zugang zur Geld- und Währungspolitik wurde Draghi in die Wiege gelegt: Schon sein Vater diente der italienischen Notenbank als hoher Beamter. Und die galt im Land der zwielichtigen Geldgeschäfte lange als saubere Institution.

Draghi verlor seine Eltern, als er erst 15 Jahre alt war. Damals besuchte der Beamtensohn die elitäre Jesuitenschule Massimiliano Massimo. Schon früh musste er Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen. Später studierte er Volkswirtschaft in den USA, lernte bei den Großen des Fachs wie den Nobelpreisträgern Paul A. Samuelson, Robert Solow und Franco Modigliani. Die prägten auch seinen Sinn für harte Analyse, Ideologieferne und pragmatische Lösungskompetenz — darin der deutschen Kanzlerin Merkel nicht unähnlich. Draghi blieb in den USA, promovierte dort und arbeitete zeitweise für die Weltbank. Zugleich lehrte er in Florenz Währungstheorie, bevor das Finanzministerium ihn sofort auf den Top-Posten berief.

Feinschliff bei Goldman Sachs

Seinen Feinschliff erhielt der intellektuelle Überflieger indes bei der berühmt-berüchtigten US-Investmentbank Goldman Sachs. Dort war er für das Europageschäft verantwortlich. Die Amerikaner berieten damals Griechenland, dessen Finanzen sie so verschleierten, dass Athen den Sprung in die europäische Währungsunion schaffte. Damit will Draghi indes nichts zu tun haben. "Das war vor meiner Zeit", betont er stets. Er verweist lieber auf die Zeit von 2006 an, wo er als neuer Chef in der so renommierten italienischen Notenbank aufräumte, die in den Strudel um die Skandalbank Antonveneta verstrickt war. Binnen Jahresfrist entfernte er alle Führungsleute, die in den Fall verwickelt waren.

In Europa hat Draghi sich den Ruf erworben, als einziger Merkel Paroli bieten zu können. Sie berät sich allerdings gern mit ihm, soweit das die Unabhängigkeit der EZB zulässt. Und sie hört auf ihn etwa wenn es um die Finanzierung der Mittelständler in Südeuropa geht, die von den Banken keine Kredite mehr bekommen. Merkel ist im Grunde froh, dass ihr Draghi das Geschäft der Euro-Rettung in Teilen abnimmt. Seinen Zentralbankrat hat er dabei besser im Griff als Merkel ihre Abgeordneten.

(kes)
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