Britische Angst vor dem wirtschaftlichen Absturz Moodys Warnschuss sorgt für Schock

London · Es war ein kleiner Warnschuss mit einer gewaltigen Wirkung. Der "negative" Ausblick der Agentur Moodys für die britische "AAA"-Wertung bedeute nur eine 30-prozentige Chance einer Herabstufung bis Mitte 2013, beruhigten die Experten in London. Doch in der Downing Street klingelten gestern die Alarmglocken.

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Foto: AP

Fünf Wochen vor der Vorstellung des neuen Haushaltsentwurfs im Parlament hätte es kaum eine schlimmere Neuigkeit für Finanzminister George Osborne geben können. Die britische Wirtschaft will nicht wachsen, und manche besorgten Analysen sagen den baldigen Absturz des verschuldeten Königreichs in eine neue Rezession voraus.

Vor dem Hintergrund der radikalsten Sparmaßnahmen seit 90 Jahren rechtfertigt das Kabinett von David Cameron seinen umstrittenen Kurs mit der Zufriedenheit der Kreditagenturen, die dem Königreich stets die bestmögliche Bonität bescheinigt haben. Moodys Warnung, dass Großbritannien trotz größter Opfer womöglich sein kostbares "AAA"-Rating einbüßen könnte, versetzte jedoch gestern der wirtschaftlichen Glaubwürdigkeit der Koalition einen schweren Schlag.

"Ohne Wachstum kann man das Defizit nicht senken: Sogar die Kreditagenturen sehen jetzt, dass die Pläne der Regierung nicht funktionieren", triumphierte die Labour-Opposition. George Osborne machte eine gute Miene zum bösen Spiel. "Die Warnung, dass unser Land abgewertet werden könnte, wenn es zu viel Geld ausgibt, bedeutet nur eins: Wir müssen weiter die Schulden abtragen".

Allerdings glauben zahlreiche Analysten, dass der Finanzminister sein Ziel verfehlen wird, bis 2015 das Strukturdefizit (derzeit 61 Milliarden Pfund) komplett zu beseitigen. In ihren Augen hat die Regierung im Spareifer jeglichen Spielraum eingebüßt, um der lahmen Konjunktur durch Sofortmaßnahmen auf die Sprünge zu helfen, ehe es zu spät ist. "Osborne ist ein exzellenter Koch, aber sein Küchenschrank ist vollkommen leer", kommentierte gestern der "Daily Telegraph" das Dilemma des 40-jährigen Hausherren in der Downing Street 11.

Der Finanzminister muss am 21. März im neuen Haushalt radikale Wachstumsideen vorschlagen, dabei darf er jedoch nicht zu sehr vom bisherigen Kurs abweichen — was die Kreditagenturen mit neuen Warnschüssen bestrafen würden. Die Rahmenbedingungen für Osborne sind indes alles andere als ideal. Trotz der Vollbremsung bei den öffentlichen Ausgaben, die manche "antisozial" nennen, wächst der gewaltige britische Schuldenberg weiter.

Moodys warnte gestern, dass er 95 Prozent des BIP erreichen könnte, was unter "AAA"-Ländern ungewöhnlich sei. Da Großbritannien 50 Prozent seiner Waren und Dienstleistungen in die EU exportiert, ist es von der chronischen Eurokrise stark betroffen. Ende 2011 ging die Wirtschaftsleistung des Landes um 0,2 Prozent zurück. Das renommierte Wirtschaftsinstitut NIESR rechnet 2012 mit einer leichten Rezession.

Die Arbeitslosigkeit, die bereits das höchste Niveau seit 1994 erreicht hat, soll dieses Jahr von 8,3 auf 9 Prozent steigen. Obwohl die Inflation zuletzt auf 3,6 Prozent sank, bleibt sie weit über dem zweiprozentigen Zielwert der Bank of England. Wenig Erfreuliches gibt es auch auf Osbornes größter Baustelle, dem Bankensystem, das entgegen alle Vereinbarungen mit der Regierung im Vorjahr ihren Kreditfluss an kleine und mittlere Unternehmen erneut gedrosselt hat.

Cameron hat seinen Landsleuten im Januar einen "sozialen und wahrhaftig populären Kapitalismus" versprochen. Angesichts der trüben Aussichten für die Zukunft wären viele Briten ihrem Premier schon dafür dankbar, wenn er einen neuen wirtschaftlichen Absturz verhindern könnte. Ende 2011 fiel die Zufriedenheit der Inselbewohner mit ihrer Wirtschaftslage auf den tiefsten Wert seit der Finanzkrise: 71 Prozent erwarteten eine neue Misere im Olympia-Jahr. Viele Beobachter glauben, dass sich dieser Pessimismus bald unweigerlich auf den Umfragewerten des beliebten Tory-Chefs auswirken wird.

(das)
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