Krankenkassen und Versicherungen sind machtlos Schöne Krankheiten für zwischendurch

Düsseldorf (rpo). Wer krank ist, leidet, braucht Aufmerksamkeit und muss oft für längere Zeit beruflich ausfallen. Doch in manchen Fällen sind besonderes Mitleid und freie Tage genau das, was die angeblichen "Opfer" bezwecken. Aggravation nennen die Ärzte das Verhalten solcher Patienten, die Krankheitszeichen übertreiben, um Vorteile zu erhalten. Das kostet die Krankenkassen Millionensummen.

Für Uwe Sodekamp, Leistungssachbearbeiter bei der privaten Unfallversicherung der Provinzial Rheinland AG, ist dieses Problem nichts Neues. Bei den insgesamt 69.904 Verkehrsunfällen mit Personenschäden, die sich 2003 allein in Nordrhein-Westfalen ereigneten, klagten rund 80 Prozent der Insassen anschließend über ein Halswirbelsäulen-Syndrom (HWS-Syndrom). "Aber bei nur höchstens fünf Prozent der Fälle liegt ein wirklicher Schaden vor", sagt Sodekamp. Der Verdacht, dass die Übrigen ihr Leiden nur simulieren läge da nahe.

Physiotherapeut Jan Selder bestätigt diesen Trend. Weit mehr als die Hälfte seiner 250 Patienten sind wegen ihrer Wirbelsäule in Therapie. "Sobald sich nach dem Rentenanspruch erkundigt wird, weiß ich, dass die Behandlung weniger erfolgreich sein wird. Diese Kranken wollen nicht gesund werden.", spricht Selder seinen Verdacht offen aus.

Nicht allen Schleudertrauma-Patienten solle eine böswillige Absicht unterstellt werden. Teilweise redeten sie sich ihre Schmerzen unbewusst selber ein. Sie sähen Berichte über dieses Leiden im Fernsehen oder hörten von Bekannten darüber. Das übertragen sie dann auf sich: "Psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens" nennt der Fachmann Sodekamp dieses Phänomen.

Weitere Beschwerden, die oft übertrieben werden sind die psychischen Erkrankungen, wie Schwindel, Depressionen, Mobbing am Arbeitsplatz. "Wenn ein Patient damit zum Arzt kommt und vielleicht auch droht sich umzubringen, muss dieser ihn krankschreiben", betont Martin Golm, Rehabilitationsberater bei der Techniker Krankenkasse.

Genaue Daten von übertriebenen Krankheiten gibt es nicht. Doch die Dunkelziffer der Simulanten könne man sehr hoch ansiedeln. "Und bei psychischen Erkrankungen ist sie höher als bei allen anderen", gibt Golm zu verstehen.

Größtes Problem ist die Kostenbewältigung. Der Arbeitgeber kann dem angeblichen Kranken nicht auf bloßen Verdacht hin kündigen. Versicherungen und Krankenkassen müssen ebenfalls zahlen.

Was soll getan werden?

Was wird also gegen die bewussten oder unbewussten Simulanten getan? Golm bestätigt, dass die Versicherungen machtlos sind. "Die Hauptkompetenz liegt bei den Ärzten. Sie müssen einen Menschen als krank einstufen." Er fügt an: "Wie soll man auch psychische Leiden beweisen? Bei dem HWS-Syndrom gibt es wenigstens Röntgenbilder."

Selder spricht dagegen: "Das Syndrom ist schwer nachzuweisen." Auch Sodekamp gibt sich hilflos: "Der Nachweis wäre zu teuer. Da wird lieber direkt eine Entschädigung angeboten."

Eine Möglichkeit gibt es aber anscheinend doch, die scheinbar Kranken zu überführen. Golm spekuliert: "Es soll Krankenkassen geben, die versuchen mit Privatdetektiven dem Geschehen auf den Grund zu gehen." Doch zugeben würde das wohl keine. Die Gefahr des Imageverlustes ist einfach zu hoch.

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