Chef der Europäischen Investitionsbank im Interview "Wir sind die Gute-Nachrichten-Stelle der EU"

Düsseldorf · Der Chef der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, spricht im Interview über Deutschlands Rückstand beim Digitalen, privaten Autobahnbau und chinesische Anleger.

 Werner Hoyer ist gebürtiger Wuppertaler (Archivfoto).

Werner Hoyer ist gebürtiger Wuppertaler (Archivfoto).

Foto: dapd, Markus Schreiber

Es gibt derzeit im EU-Betrieb nur wenige Akteure, die einen solchen Optimismus ausstrahlen wie Werner Hoyer (65). Seit 2012 ist der FDP-Politiker und einstige Staatsminister im Auswärtigen Amt Chef der Europäischen Investitionsbank EIB. Gerade hat er in Düsseldorf einen Kredit über 100 Millionen Euro vergeben - es könnte schlimmer laufen.

Herr Hoyer, was macht die EIB eigentlich genau?

Hoyer Die Bank existiert schon seit 1958, sie gehört den EU-Mitgliedsstaaten. Ihre Aufgabe ist es, die politischen und wirtschaftlichen Ziele der EU finanziell zu unterstützen.

Hört sich ziemlich vage an. Um welche Art von Projekten geht es dabei?

Hoyer Zum Beispiel helfen wir in akuten Notlagen. Als etwa während der Finanzkrise 2009 sehr viele Autozulieferer in eine Schieflage gerieten und nicht mehr an Kredite kamen, sind wir eingesprungen. Außerdem helfen wir sehr vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, zum Beispiel Handwerksbetrieben, für die es wegen der vielen regulatorischen Auflagen auch sehr schwierig geworden ist, an Darlehen zu kommen - und das selbst in hoch entwickelten Volkswirtschaften der EU. Und ganz besonders fördern wir derzeit auch den Ausbau der digitalen Infrastruktur, denn da fallen wir gegenüber dem Rest der Welt leider ständig weiter zurück.

Auch in Deutschland?

Hoyer: Gerade auch in Deutschland! Der Ausbau des Glasfasernetzes kommt nicht schnell genug voran, die Datenverarbeitungskapazitäten sind viel zu gering; dabei ist das doch das Rückgrat der digitalen Ökonomie. Andere Länder wie Frankreich gehen da längst mit sehr viel größerem Tempo voran als wir.

Auch ausländische Investoren legen derzeit viel Geld in Europa an, ganz besonders China. Begrüßen sie das?

Hoyer Die meisten dieser Investments halte ich für völlig unkritisch. Warum sollen die Chinesen nicht den Bau einer Brücke oder eines Hafens finanzieren? Schwierig wird es, wenn der Ausverkauf unseres Mittelstands droht, wenn chinesische Investoren gezielt strategisches Know-how abschöpfen wollen. Für diese Bedrohung hat man bisher in Deutschland noch keine rechte Sensibilität entwickelt. Andere Länder achten viel stärker auf den Schutz ihrer industriellen Interessen.

Ein sehr umstrittenes Thema sind die Public-Private-Partnerships (PPP), bei denen der Staat öffentliche Aufgaben an private Investoren auslagert, zum Beispiel beim Autobahnbau. Was halten Sie davon?

Hoyer Ich denke, dass es ohne solche Partnerschaften überhaupt nicht mehr gehen wird. Wenn wir die Zielsetzungen, die sich Europa zum Beispiel bei Infrastruktur, Forschung und Bildung selbst gesetzt hat, wie geplant bis 2020 erreichen wollen, haben wir heute schon eine Investitionslücke von mehreren hundert Milliarden Euro - und das jedes Jahr. Ohne moderne Finanzierungsinstrumente wie PPP werden wir diese Lücke niemals auch nur ansatzweise schließen können. Der sogenannte Juncker-Plan, das von der EU-Kommission zusammen mit der EU-Bank im vergangenen Jahr vorgelegte Investitionsprogramm, kann dazu lediglich 100 Milliarden Euro pro Jahr beitragen. Woher also soll der Rest kommen, wenn nicht von privaten Investoren?

Wie erklären Sie sich das Misstrauen vieler Politiker gegenüber den PPP?

Hoyer: Natürlich hat es PPP-Projekte gegeben, die nicht gut gelaufen sind. Aber normalerweise erlauben es solche Finanzierungsmodelle, große Vorhaben effizienter und vor allem auch sehr viel schneller umzusetzen. Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht verstehen, warum gerade in Nordrhein-Westfalen mit seinen vielen Infrastrukturproblemen nicht sehr viel entschiedener auf private Partner gesetzt wird. Ein dänischer Autozulieferer hat mir neulich vorgerechnet, dass er wegen der vielen Staus in Deutschland - vor allem in NRW - fünf Stunden mehr für seine fast auf die Minute zu planenden Lieferungen ins Elsass einrechnen und deshalb sehr viel mehr LKW auf die Straße schicken muss. Das kostet irrsinnige Summen und belastet auch die Umwelt.

Der Juncker-Plan soll bis Ende 2017 bis zu 315 Milliarden Euro Investitionen anstoßen. Wie ist die Bilanz?

Hoyer: Exzellent. Bis jetzt haben wir, zusammen mit unserer Tochter, dem Europäischen Investitionsfonds, 419 Finanzierungen auf den Weg gebracht, die Investitionen von mehr als 160 Milliarden Euro in der Realwirtschaft mobilisieren werden, und damit bereits mehr als die Hälfte der angepeilten Summe erreicht. Man kann sagen, der Juncker-Plan läuft wie geschmiert!

Solche guten Nachrichten aus Europa ist man gar nicht mehr gewohnt...

Hoyer: Na ja, die EIB ist ja auch so etwas wie die Gute-Nachrichten-Institution der EU.

Sie sind für Investitionen in der EU zuständig, und dafür gibt es reichlich Beifall. Sparen dagegen scheint nicht mehr sehr populär...

Hoyer Ja, das ist eine gefährliche Entwicklung, diese Forderung nach neuen Schulden: Das Geld sei doch wegen der niedrigen Zinsen gerade so billig, da könne man doch vieles auf Pump finanzieren. Aber zum einen dürften die Zinsen schon bald wieder steigen, und das würde einige Staatshaushalte ganz schnell in Schieflage bringen. Und zum anderen geht es darum, in die richtigen Maßnahmen zu investieren. Jede Investition, die nachweislich hilft, unsere Position im globalen Wettbewerb zu verbessern, ist gut angelegtes Geld. Aber wir können es uns auf keinen Fall leisten, zusätzliche soziale Wohltaten über neue Kredite zu finanzieren.

Die EU-Kommission will, dass die EIB künftig auch Rüstungsprojekte finanziert. Gut angelegtes Geld?

Hoyer Ich bin ja sehr dafür, dass Europa viel mehr für die Verteidigung tun und vor allem effizienter werden muss. Aber für die Rüstungsfinanzierung ist die EIB einfach nicht die richtige Institution. Wir sind darauf angewiesen, uns komplett auf dem freien Kapitalmarkt zu refinanzieren. Viele unserer Investoren dürfen aber grundsätzlich keine Anleihen kaufen, die mit Rüstung zu tun haben. Diese Geldgeber würden wir verlieren, wenn wir den Vorstellungen der Kommission folgten. Die direkte Folge wäre, dass unsere Kredite sich verteuern würden. Unterm Strich würden wir also mehr verlieren als gewinnen.

Auch die Flüchtlingskrise stellt die EU vor enorme finanzielle Herausforderungen. Kann die EIB hier ebenfalls helfen?

Hoyer Das tun wir ja schon, in dem wir in den EU-Ländern Projekte finanzieren, die mit der Bewältigung der Migration zu tun haben, etwa im Wohnungsbau, bei Schulen oder in der Wasseraufbereitung. Auf unsere Initiative hin wird es außerdem einen zusätzlichen europäischen Investitionsplan für die besonders von der Flüchtlingskrise betroffenen Länder auf dem Westbalkan und in Nordafrika geben. Dafür wollen wir sechs Milliarden Euro zusätzlich zu unseren bereits eingeplanten 7,5 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre bereitstellen. Wir glauben, dass wir damit bis zu 15 Milliarden an zusätzlichen Investitionen mobilisieren können. Man darf auch nicht übersehen, dass internationale Finanzinstitutionen schon jetzt mit insgesamt rund 100 Milliarden Euro engagiert sind, um die Mittelmeeranrainer wirtschaftlich zu stärken. Und auch hier ist die EIB mit rund 40 Milliarden dabei.

Das ist sehr viel Geld…

Hoyer Ja, aber es dient dem richtigen Ansatz. Es muss doch darum gehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen, und das heißt vor allem, wir müssen in den Herkunftsländern der Migranten Jobs schaffen. Dafür hat uns vielleicht erst die Flüchtlingskrise die Augen geöffnet. Bisher war unsere Politik in der Region ja vor allem so etwas wie globale Sozialpolitik, gut gemeint, ethisch einwandfrei, aber ohne hinreichendes strategisches Konzept. Das musste sich dringend ändern, und das ändert sich jetzt gottlob auch. Wir möchten da als Bank auch noch mehr tun, gerade in Afrika. Bisher vergeben wir aber nur zehn Prozent unserer Darlehen außerhalb der EU; wir sollten das deutlich erhöhen — mit zusätzlichem Engagement und nicht auf Kosten unseres Geschäfts in der EU. Ich bin überzeugt, dieses Geld wäre im europäischen Interesse sehr gut angelegt. Denn machen wir uns nichts vor: der Migrationsdruck auf Europa wird so schnell nicht nachlassen. Das hat gerade erst angefangen.

Matthias Beermann fasste das Gespräch zusammen.

(bee)
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