IG-BCE-Chef Frank Löllgen — Kind der rheinischen Großchemie

Düsseldorf · Seit einem halben Jahr lenkt der 52-jährige Kölner den mitgliederstärksten Bezirk der Chemie- und Energiegewerkschaft. Für ihn ist es eine Rückkehr in die Heimat.

 Seit einem halben Jahr lenkt Frank Löllgen den mitgliederstärksten Bezirk der Chemie- und Energiegewerkschaft.

Seit einem halben Jahr lenkt Frank Löllgen den mitgliederstärksten Bezirk der Chemie- und Energiegewerkschaft.

Foto: Schaller,Bernd

Am Tag nach dem Bundesligaaufstieg hat Frank Löllgen seinen roten FC-Köln-Schal in sein neues Büro an der Düsseldorfer Hans-Böckler-Straße mitgebracht und über das Bild vom Dom gehängt. Da lag der persönliche Aufstieg des 52-Jährigen nur wenige Wochen zurück — der zum Vorsitzenden des einflussreichsten Landesbezirks der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). In Nordrhein mit seinen 107 000 Mitgliedern sind Konzerne wie Henkel, Bayer und Lanxess beheimatet; hinzu kommt der Braunkohletagebau.

Löllgen ist ein großgewachsener Mann mit einem leicht verschmitzten Lächeln. Wer ihn nur flüchtig kenne, erlebe ihn als nüchternen und spröden Menschen, sagt Löllgen über Löllgen. "Ich benötige oft eine Warmlaufphase." Doch danach kommt der andere Typ zum Vorschein, der lockerer ist, sich im Terminkalender die Karnevalstage schon mal vorsorglich frei hält. Ein echter Rheinländer.

Der Landesbezirksleiter stammt aus Verhältnissen, die er selbst als "solide geerdet" bezeichnet. Auf der rechtsrheinischen Industrieseite der Domstadt ist er groß geworden. Der Vater war Schmiedegehilfe bei Klöckner-Humboldt-Deutz, die Mutter für die Erziehung der sieben Kinder verantwortlich. Löllgen erinnert sich, wie sein Vater nachts um zwei Uhr in die Firma fuhr und die Öfen anheizte und ab sechs Uhr die normale Acht-Stunden-Schicht mitmachte. Dieser Fleiß nötigt dem Sohn bis heute Respekt ab.

Bei Bayer ließ sich Löllgen zum Chemielaboranten ausbilden. Es war die Zeit der ersten großen Rationalisierungswelle in der Branche. In diesem Umfeld wollte der junge Löllgen, ein Heranwachsender ,der gern seine Meinung sagte, etwas bewegen. "Ich hatte ein bisschen Erfahrung bei den Jusos gesammelt. Eh' da aber aus Beschlüssen Gesetze wurden, verging mir zu viel Zeit." So gelangte er zur IG Chemie Papier Keramik, konzentrierte sich auf die Bildungsarbeit. Er begann, Kontakte zu knüpfen, lernte auch den heutigen IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis kennen, der damals ebenfalls bei Bayer arbeitete.

Und Löllgen nutzte seine Gewerkschaftsbeziehung zum Aufbruch. Dem vierten von sieben Geschwistern wurde es daheim zu eng. Die Gelegenheit bot sich mit der Akademie der Arbeit, einer gewerkschaftsnahen Kaderschmiede in Frankfurt. Auch wenn die Mutter die Hände über dem Kopf zusammenschlug, gab er 1985 die sichere Bayer-Stelle auf und zog an den Main. Fortan standen statt Kautschukveredelung Marx'sche Theorien, Philosophie, Soziallehre oder Verfassungsrecht auf dem Lehrplan.

Auf Frankfurt folgte die stringente Karriere zum hauptamtlichen Gewerkschafter. Sekretär zur Ausbildung, heute würde man wohl Trainee sagen, mit Stationen in Heilbronn, Mannheim, Stuttgart, und Hannover. In dieser Zeit lernte er erstmals Einschüchterungen durch Firmenchefs kennen, machte Bekanntschaft mit Polizisten, als er auf dem Parkplatz eines Firmengeländes im Süddeutschen Flyer für die Gewerkschaft verteilte. "Ich habe damals feststellen müssen, dass es durchaus auch einen aggressiveren Ton im Umgang mit Gewerkschaften gibt." Einschüchtern ließ er sich davon nicht.

1993 kam der Wechsel als Geschäftsführer nach Dresden, wo der "Wessi" Löllgen "damals schon nicht mehr als Retter begrüßt wurde, weil viele Betriebe schließen mussten. Dennoch galt es Gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen und Tarifpolitische Aktivitäten zu entwickeln."

Vier Jahre blieb er mit seiner Frau. An dem in Sachsen gebauten Haus hatte die Familie nur kurz Freude, denn 1997 kam die Fusion zur IG BCE — und zeitgleich der erste Ruf für Löllgen zurück in die Heimat: als IG-BCE- Bezirksleiter in Leverkusen. "Ich bin ein Kind der Großchemie. Dieses Gebiet mit Bayer zu übernehmen, war eine Auszeichnung." Es wurden elf bewegte Jahre mit der Umwandlung des Bayer-Konzerns in eine strategische Holding und der Ausgliederung von Lanxess.

Nach einem dreijährigen Zwischenspiel in der BASF-Stadt Ludwigshafen kam 2011 ein Anruf aus Hannover. Michael Vassiliadis, inzwischen Bundesvorsitzender der IG BCE, erinnerte sich an den alten Weggefährten aus Bayer-Tagen. Ob er nicht Lust auf Personalpolitik habe? Löllgen nahm an. Im Laufe der zweieinhalb Jahre war der Leiter der Abteilung Vorsitzender nicht nur zuständig für die Personalangelegenheiten, sondern auch für Fragen der Organisationsentwicklung.

Vor knapp einem Jahr fühlte Vassiliadis bei seinem Abteilungsleiter dann vorsichtig vor, ob er sich denn grundsätzlich interessieren würde, Landesbezirksleiter in Nordrhein zu werden — schließlich sollte sein Vorgänger Reiner Hoffmann an die Spitze des DGB aufsteigen. Die Bedingungen schienen günstig: Der Tarifabschluss würde zum Zeitpunkt seines Amtsantritts unter Dach und Fach sein. Genug Zeit also für den Neuen, um sich in komplexe Themenfelder wie die Braunkohle einzuarbeiten. Löllgen sagte zu.

Doch dann ließ die NRW-Regierung kurz nach seiner Ankunft eine Bombe platzen und präsentierte die Verkleinerung des Braunkohletagebaus. "Das hat uns kalt erwischt." Inzwischen ist Löllgen in puncto Energie sattelfest, doch die Überrumpelungsaktion der NRW-Regierung wirkt immer noch nach: "Wichtig wäre, dass sich die Politik zur Industrie bekennt, dass sie deren Beitrag zum Wohlstand anerkennt", sagt Löllgen.

Energie-Wende, Industriepolitik mit einem besonderen Fokus auf die neuen Herausforderungen einer immer mehr digitalisierten Welt, gute Arbeit und eine bessere Bildung — das werden Löllgens Schwerpunkte in den kommenden Monaten sein. Und dann natürlich seine erste Tarifrunde als Landesbezirksleiter.

Bis es soweit ist und er sich die Nächte in Verhandlungshotels um die Ohren schlagen muss, genießt es der Vater von zwei Kindern abends in Köln mit seiner Frau bei einem Glas Wein den Tag Revue passieren zu lassen. Die Zeit des jahrelangen Pendelns ist vorbei. Löllgen, das Kind der rheinischen Großchemie, ist daheim angekommen.

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