Hermann Gröhe "Für Panikmache bei Kassenbeitrag kein Anlass"

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) antwortet auf Fragen von sechs Auszubildenden der AOK Rheinland/Hamburg.

Das ist Hermann Gröhe
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Foto: dpa, Maurizio Gambarini

Tausende Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Stößt der öffentliche Gesundheitsdienst an seine Grenzen?

Gröhe Nicht nur der öffentliche Gesundheitsdienst. Wir alle spüren, dass unser Land das nicht auf den normalen Wegen bewältigen kann, dass es uns an unsere Grenzen bringt - und manchmal auch darüber hinaus. Es ist nicht in jeder Kommune und in jedem Land für ausreichend Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst gesorgt worden. Und jetzt kommt eine besondere Herausforderung hinzu. Ich war neulich im ehemaligen Alexianer-Krankenhaus in Neuss, in dem über 1000 Flüchtlinge untergebracht sind. Dort helfen Ärzte und Krankenschwestern ehrenamtlich. Dieses Engagement ist eine ganz wichtige Unterstützung und ein starkes Zeichen der Mitmenschlichkeit.

Haben wir genug Ärzte mit Fremdsprachenkenntnissen?

Gröhe Wir versuchen, sowohl mit hier in Deutschland lebenden Ärzten mit entsprechenden Sprachkenntnissen als auch mit der Sachkenntnis, die Flüchtlinge mitbringen, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Unter den Flüchtlingen sind Menschen, die in ihrem Herkunftsland zum Beispiel als Arzt gearbeitet haben. Sie haben einen Anspruch auf eine Prüfung, ob sie in Deutschland als Arzt zugelassen werden. Dazu gibt es ein geregeltes Verfahren. Das sollte zügig, aber ohne Abstriche bei der erforderlichen Qualifikation durchgeführt werden. Wir haben jetzt gesetzlich geregelt, dass Asylsuchende mit medizinischen Kenntnissen schon vorher die Ärzte in Aufnahmeeinrichtungen unterstützen können, etwa mit ihren Sprachkenntnissen. Sie sind dann nicht selbst als Ärzte tätig, aber an der Seite der Ärzte.

Studien zeigen, dass Privatpatienten in Arztpraxen immer noch bevorzugt werden. Was tun Sie dagegen?

Gröhe Bei Wartezeiten für Facharzttermine sind wir im internationalen Vergleich zwar gut. Trotzdem gibt es immer wieder Beschwerden von gesetzlich Versicherten über überlange Wartezeiten. Deshalb haben wir die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, Terminservicestellen einzurichten, die helfen, wenn es mit dem Facharzttermin nicht klappt. Kann innerhalb von vier Wochen kein Termin vermittelt werden, hilft im Bedarfsfall das Krankenhaus aus - und zwar zulasten des Budgets der niedergelassenen Ärzte. Ich bin sicher, dass hier gute Lösungen gefunden werden. Ich appelliere aber auch an die Versicherten, vereinbarte Arzttermine tatsächlich wahrzunehmen. Mangelnde Termintreue ist ein Ärgernis.

Trotz guter Wirtschaftslage steigt der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung. Haben Sie ein mulmiges Gefühl?

Gröhe Natürlich werden wir die Entwicklung der Zusatzbeträge, die die Kassen festlegen, im Auge behalten. Für Panikmache gibt es aber keinen Anlass. Aus den Prognosen des Schätzerkreises ergibt sich für 2016 eine moderate Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags in der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,2 Prozentpunkte. Wer 3000 Euro brutto im Monat verdient, würde also sechs Euro mehr pro Monat bezahlen. Für diese sechs Euro nimmt er aber auch am medizinischen Fortschritt teil. Der derzeitige Ausgabenanstieg ist stark von steigenden Arzneimittelkosten geprägt. Gegen Hepatitis C zum Beispiel gibt es neue, sehr teure Medikamente, durch die die Krankheit erstmals geheilt werden kann. Das kann Patienten sogar eine Transplantation ersparen. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wir hätten gesagt: Für privat Versicherte gibt es das Medikament, für gesetzlich Versicherte nicht.

Und im folgenden Jahr?

Gröhe Ich gehe auch für 2017 von einer moderaten Erhöhung der Zusatzbeiträge aus. Natürlich liegt das auch daran, dass wir die Leistungen für gesetzlich Versicherte spürbar verbessern: zum Beispiel durch mehr Pflege- und Hygienepersonal im Krankenhaus und den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung. Wir nehmen auch Geld in die Hand für ein Präventionsgesetz. Damit beugen wir Krankheiten vor und sorgen zugleich dafür, dass unser Gesundheitswesen morgen noch bezahlbar bleibt. Und wenn wir den Ländern helfen, Überkapazitäten in Krankenhäusern abzubauen, wird auch unser Gesundheitswesen wirtschaftlicher. Unsere Gesetzesvorhaben dienen so der guten Versorgung der Patienten und tragen zugleich zur nachhaltigen Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens bei.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN TOBIAS HEINRICHS, LENA ROSE, MARIA BAROUTOGLOU, DIANA ROBERTA GAURILE, SIMON HESSE UND LENA RAUHAUS.

(RP)
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