Interview mit Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer "Bei Kürzung der Industrierabatte nicht überziehen"

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sieht Hunderttausende Jobs gefährdet, wenn die Regierung die Privilegien der energieintensiven Industrien beim Ökostrom zu stark kürzt. Auch die Rentenpläne der großen Koalition könnten negativ auf Wachstum und Beschäftigung wirken, kritisierte er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wirtschaftsminister Gabriel stellt schon in dieser Woche (22./23.1.) Eckpunkte für die Energiewende-Reform vor. Lässt der Koalitionsvertrag den großen Wurf erwarten?

Kramer Ich begrüße, dass im Koalitionsvertrag eine schnelle und grundlegende EEG-Reform angekündigt ist. Die erneuerbaren Energien müssen sich den Marktbedingungen stellen. Eine ungebremste Förderung — koste es, was es wolle — können wir uns nicht leisten. Außerdem muss es weiter Ausnahmen für energieintensive Unternehmen geben, die im internationalen Wettbewerb stehen. Es geht nicht um Subventionen für deutsche Unternehmen, sondern um die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit. Mehrbelastungen, die ausländische Konkurrenten nicht zu schultern haben, müssen vermieden werden. Ansonsten ist unser industrieller Kern und damit hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet.

Wie wirkt das Rentenpaket mittelfristig auf Wachstum und Beschäftigung?

Kramer Erst unterlässt die Regierung die gesetzlich vorgeschriebene Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung. Nun plant sie einen schnelleren Anstieg des Rentenbeitrags. Damit steigen für die Unternehmen die Lohnzusatzkosten, den Beschäftigten bleibt weniger Netto vom Brutto. Die hohen Mehrbelastungen werden sich mittelfristig negativ auf Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung auswirken — zumal mit der Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung bereits die nächste Zusatzbelastung angekündigt ist.

Warum reagieren die Arbeitgeber mit so massiver Kritik auf ein Paket, das von 80 Prozent der Bevölkerung befürwortet wird?

Kramer Die Umfrageergebnisse sind eine Momentaufnahme und reflektieren nicht die kommenden Finanzierungsprobleme. Die Mehrheitsmeinung wird sich ändern, wenn die Belastungen und die Ungerechtigkeiten des Rentenpakets sichtbar werden. Es ist falsch, die mühsamen Reformanstrengungen der vergangenen Jahre zur Stabilisierung des Rentensystems und zur fairen Lastenverteilung des demografischen Wandels leichtfertig zu verspielen.

Wo sehen Sie konkreten Änderungsbedarf im Gesetzestext?

Kramer Es muss zumindest sichergestellt werden, dass die Erhöhung der Mütterrenten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Anfang an aus Steuermitteln finanziert wird. Wichtig ist auch, dass die abschlagsfreie Rente mit 63 durch strikte Begrenzung der Zugangsvoraussetzungen so ausgestaltet wird, dass möglichst wenig Anreize für Frühverrentungsprogramme entstehen.

Auch die Mindestlohn-Pläne der Koalition werden bald fertiggestellt. Für wen muss es unbedingt Ausnahmen vom Mindestlohn geben?

Kramer Angekündigt ist ja bereits, dass der Mindestlohn nicht für Auszubildende und Praktikanten gelten soll. Differenzierungen sind darüber hinaus notwendig, um den Mindestlohn nicht zu einem kaum überwindbaren Einstiegshemmnis für Personengruppen zu machen, die besonders schwer in Arbeit zu vermitteln sind. Dies gilt zum Beispiel für Langzeitarbeitslose, Menschen, die noch nie gearbeitet haben, oder Geringqualifizierte. Für diese Personengruppen müssen zumindest beim Einstieg in die Beschäftigung Ausnahmen möglich bleiben.

Die Fragen stellte Birgit Marschall.

(mar)
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