Analyse Gehört Griechenland noch zu Europa?

Athen · Kiwis und Pfirsiche, Erdbeeren und Erdgas - darüber verhandelte der griechische Minister Panagiotis Lafazanis jüngst in Moskau. Doch wenn Premierminister Alexis Tsipras am 8. April in den Kreml kommt, dürfte es um mehr gehen - vielleicht um einen russischen Hilfskredit. Die Visite könnte die Kräfteverhältnisse verändern. Gelingt es Präsident Wladimir Putin, einen Keil in EU und die Nato zu treiben?

"Griechenland gehört zum Westen", postulierte 1976 der griechische Ministerpräsident Konstantin Karamanlis und ebnete damit seinem Land den Weg in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Doch seit in Athen die Regierung Tsipras amtiert, gibt es Zweifel, ob dieser Grundsatz noch gilt.

Die Schuldenkrise hat viele Griechen von Europa entfremdet. Prominente Politiker von Syriza wollen den Austritt Griechenlands aus der EU und der Nato - und einen Schulterschluss mit Russland. Während laut Umfragen nur noch 23 Prozent der Griechen positive Gefühle für die EU hegen, sind 63 Prozent Russland wohlgesonnen. Führende Regierungspolitiker kommen aus der früher sowjet-treuen griechischen KP, so auch Tsipras und sein Außenminister Nikos Kotzias. Beide Völker haben traditionell enge Beziehungen, die auch in der gemeinsamen orthodoxen Religion wurzeln.

Bei seinem Besuch hofft Tsipras den Kreml-Chef zu bewegen, das Einfuhrverbot für griechische Lebensmittel aufzuheben. Unter dem Import-Bann, mit dem Moskau auf die Sanktionen der EU reagierte, leidet die griechische Landwirtschaft. Früher gingen die Hälfte der griechischen Erdbeer-Exporte und je ein Viertel der Pfirsich- und Kiwi-Ausfuhren nach Russland. Die Griechen wünschen sich auch billigeres Erdgas - zwei Drittel ihres Bedarfs deckt der Staatskonzern Gazprom.

Die Vorverlegung des eigentlich für Anfang Mai geplanten Besuchs um einen Monat nährt aber vor allem Spekulationen, Tsipras könnte versuchen, seinem Land Hilfskredite in Moskau zu besorgen. Vize-Außenminister Nikos Chountis bestätigte, es gebe Angebote aus Moskau.

Tsipras' Annäherung an Russland ist mehr als ein taktischer Schachzug, mit dem er versucht, EU-Hilfe zu bekommen. Russland hat auch wirtschaftliche Ambitionen wie die Übernahme des griechischen Bahnbetreibers Trainose und den Hafen Thessaloniki.

Noch wichtiger sind für Putin die geopolitischen Perspektiven. Als Gegenleistung für einen Hilfskredit dürfte er Tsipras das Versprechen abnehmen, im Sommer im EU-Rat gegen die dann fällige Verlängerung der Russland-Sanktionen zu stimmen. So könnte Putin nicht nur die EU, sondern auch die Nato auseinanderdividieren.

(RP)
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