Interview mit Michael Vassiliadis "Die Rente mit 70 ist ein Hohn"

Hannover · Der Chef der Gewerkschaft IG BCE lehnt eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters ab. Zugleich fordert er die Politik auf, ein Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent zu verhindern.

 Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis fordert die Politik auf, ein Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent zu verhindern.

Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis fordert die Politik auf, ein Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent zu verhindern.

Foto: dpa

Im Streit um die Rentenreform stehen die Gewerkschaften in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie die Beschäftigten nicht mit höheren Abgaben belasten, auf der anderen Seite müssen sie die Sorgen ihrer Mitglieder vor Altersarmut ernst nehmen. Dazu befragten wir Michael Vassiliadis, den Chef der Chemie- und Energiegewerkschaft IG BCE.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will eine weitere Absenkung des Rentenniveaus verhindern. Ein vernünftiger Weg, um Altersarmut zu verhindern?

Vassliadis Die von Andrea Nahles vorgeschlagene Halteline geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Wir wollen, dass die Beschäftigten auch im Alter ihren Lebensstandard halten können. Dafür muss die Politik das Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent bis 2030, wie es jetzt Rechtslage ist, verhindern.

Das Geld muss irgendwo herkommen. Ist es hinnehmbar, dass die Rentenbeiträge über 22 Prozent steigen?

Vassiliadis Sicher, das kostet Geld. Wie viel, das werden wir genauer sagen können, wenn die Bundesregierung den Alterssicherungsbericht vorlegt. Wir müssen bei dieser Frage vor allem die Jüngeren beachten. Denn sie bezahlen die steigenden Beiträge. Sie sind allerdings auch die Leidtragenden, wenn die gesetzliche Rente nicht reicht.

Die Unternehmen sagen, höhere Beiträge vernichten Jobs.

Vassiliadis Das ist ein echter Ohrwurm der Arbeitgeber. Das alte Lied! Es gibt die Notwendigkeit und den Spielraum, über eine bessere Altersvorsorge leistungsfähiger Beschäftigter zu sprechen. Die betriebliche Altersvorsorge kann ja auch einen Beitrag leisten. Da haben die Betriebe doch freie Hand.

Alternativ kann die Politik auch die Lebensarbeitszeit über 67 Jahre hinaus erhöhen. Wäre das ein gangbarer Weg zur Finanzierung?

Vassiliadis Das Gerede um die Rente mit 70 ist für Menschen, die Jahrzehnte hart gearbeitet haben, ein Hohn. Die Wahrheit ist doch: Viele Beschäftigte können heute schon das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht gesund erreichen.

Mit der Rentenreform der Arbeitsministerin soll auch die Betriebsrente stärker gefördert werden. Wie finden Sie das?

Vassiliadis Die Betriebsrente zu stärken, ist sehr vernünftig. Und mit einer besseren steuerlichen Förderung haben wir Gewerkschaften die Chance, Tarifverträge zur betrieblichen Vorsorge noch attraktiver zu gestalten.

Reicht das? Welche Wünsche hätten Sie noch für eine große Rentenreform?

Vassiliadis Wie schon gesagt, das Rentenniveau darf nicht auf 43 Prozent abfallen. Niedrigstrenten müssen unterstützt werden, und wir brauchen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Wer beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen einfach nicht mehr kann und vorzeitig in Rente gehen muss, kommt meist finanziell kaum über die Runden. Hier müssen wir dringend handeln, damit die Leute nicht in Altersarmut rutschen.

Die CSU will im Rahmen der Rentenreform auch die Mütterrente erhöhen. Gute Idee?

Vassiliadis Kommt auf die Finanzierung an. Sie muss aus Steuermitteln gespeist werden und nicht wie bisher aus der Rentenkasse.

Antje Höning stellte die Fragen.

(RP)
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