Athen Griechen stimmen ab: Nein oder Neuwahl

Athen · Griechenland will morgen die Banken öffnen - damit Rentner an Geld kommen, die keine Bankkarte haben. Wie das geplante Referendum ausgeht, ist völlig offen. Sollten die Griechen für eine Einigung mit den Gläubigern stimmen, dürfte Regierungschef Tsipras zurücktreten.

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30 Juni: Tausende demonstrieren in Athen für Europa

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Es sind widersprüchliche Signale, die derzeit aus Griechenland zu hören sind. Noch am Montagabend hatte Premierminister Alexis Tsipras in einem Interview mit dem griechischen Staatsfernsehen ERT die Geldgeber seines hochverschuldeten Landes heftig attackiert: Sie versuchten, die griechischen Banken "zu ersticken" und Griechenland "neo-koloniale Ketten anzulegen". Der Premier sagte aber auch, er sei immer noch offen für eine Einigung mit den Geldgebern, "sogar in der elften Stunde". Tsipras versicherte: "Griechenland hat den Verhandlungstisch nicht verlassen." Gestern ging dann beim Euro-Rettungsfonds ESM überraschend der Athener Antrag auf ein drittes Hilfspaket ein.

Die Chancen für eine Einigung im letzten Augenblick waren aber gering. Staatsminister Nikos Pappas, einer der engsten Vertrauten von Tsipras, bestätigte am Vormittag, das Referendum werde wie geplant stattfinden. Am Sonntag sollen die Griechen über das Sparprogramm der Geldgeber abstimmen. Am Abend sagte dann der maltesische Ministerpräsident, Athen sei auch zu einer Absage bereit. Hin und Her, wie so oft in diesem griechischen Drama. Sollte es bei dem Referendum bleiben, hat die Tsipras-Regierung den Bürgern empfohlen, mit Nein zu stimmen, also die Vorschläge der Gläubiger zurückzuweisen. Tsipras wirbt für ein "stolzes Nein", weil er sich davon eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den Gläubigern verspricht. Griechische Oppositionspolitiker warnen, ein Nein bedeute den Abschied Griechenlands aus der Währungsunion.

Die griechischen Banken blieben auch gestern geschlossen. Heute sollen mehrere Hundert Zweigestellen vorübergehend öffnen, damit Renten an solche Pensionäre ausgezahlt werden können, die nicht über Bankkarten für Geldautomaten verfügen. Die Rentner dürfen aber zunächst höchstens 120 Euro abheben. Die griechische Rentenkasse gab gestern bekannt, dass ihre rund 350 000 Pensionäre diese Woche nur die Hälfte der Juli-Renten ausgezahlt bekommen. Die andere Hälfte soll in der kommenden Woche folgen. Die Kasse begründet das mit "technischen Problemen". Es könnte ein Vorgeschmack auf das sein, was Griechenland in den kommenden Wochen bevorsteht, wenn dem Staat das Geld ausgeht.

Ohne eine Einigung in letzter Minute läuft das Rettungsprogramm für Griechenland mit Beginn des heutigen Tages aus. Dann verfallen die noch zur Verfügung stehenden Hilfsgelder, aus denen die Gläubiger ihr letztes Angebot finanziert hätten. Die Griechen würden dann am Sonntag also über etwas abstimmen, das es gar nicht mehr gibt - eine absurde Situation.

Vorhersagen über den Ausgang des Referendums sind schwierig. In einer Umfrage aus der vergangenen Woche erklärten zwar 57 Prozent der Befragten, sie würden mit Ja stimmen. Das war aber, bevor die Abstimmung angesetzt und die Fragestellung bekannt wurde. Am Montag versammelten sich 20 000 Menschen auf dem Athener Syntagma-Platz, um für ein Nein zu demonstrieren. Gestern Abend dann trafen sich Tausende Befürworter eines Ja auf dem Platz. Angeführt wird die Ja-Initiative unter dem Motto "Wir bleiben in Europa" von Giannis Boutaris, dem populären parteilosen Bürgermeister von Thessaloniki, sowie vom Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis. Auch der frühere Ministerpräsident Giorgos Papandreou warb für ein Ja.

Tsipras hat unterdessen erstmals erkennen lassen, dass er zurücktreten könnte, wenn bei der Volksabstimmung ein Ja herauskommt. Er werde dann "entsprechend der Verfassung" handeln, sagte Tsipras im Staatsfernsehen. Er sei "kein Allwetter-Ministerpräsident" und wolle das Amt "nicht für immer" ausüben.

Ein Blick ins Athener Parlament zeigt, dass in der jetzigen Zusammensetzung eine Regierung gegen Tsipras' Syriza kaum zu bilden wäre: Sie liegt also nur zwei Sitze unter der Mehrheit. Um gegen Syriza zu regieren, müssten sich alle anderen - von Kommunisten bis zu Faschisten - zusammentun. Deutlich wahrscheinlicher wären also Neuwahlen.

(RP)
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