Bangalore Gründergeist am Ganges

Bangalore · Indien ist berühmt für seine Computer-Spezialisten - doch digitale Start-ups von Weltrang hat das Land bislang kaum hervorgebracht. Einige Hoffnungsträger mussten zuletzt sogar herbe Rückschläge hinnehmen. Doch nun gibt es Hoffnung.

Steve Jobs ist seit fünf Jahren tot, doch wenn man ihn fragt, welches Buch ihn besonders inspiriert hat, antwortet er: "Moby Dick". Der Gründer des iPhone-Herstellers Apple erzählt auch, dass seine Lieblingsmusiker die Beatles und Bob Dylan sind und wie er den Kampf gegen den Krebs verlor.

Steve Jobs hat keinen Körper mehr, keine Stimme oder Mimik. Er ist zu einem Algorithmus geworden, der auf Knopfdruck Textzeilen ausspuckt - und Abhimanyu Godara hat ihn dazu gemacht. Godora ist der Gründer des indischen Start-ups Bottr.me, das die intelligenten Computerprogramme entwickelt. "Ein Bot ist nicht Gott, er weiß nicht alles", sagt Godora: "Aber er lernt die Menschen immer besser kennen und soll sich dadurch immer mehr so ausdrücken, wie sie es selbst tun würden." Irgendwann würden Gesprächspartner dann gar nicht mehr merken, ob ihnen eine reale Person oder ein Bot schreibt.

Godora hat schon für Unternehmen in Frankreich, Japan und den USA gearbeitet - und nun ein Start-up in der indischen IT-Hauptstadt Bangalore gegründet. Er ist damit einer der vielen Hoffnungsträger des Landes, das bislang viele exzellente IT-Fachkräfte hervorgebracht hat, jedoch kaum Start-ups von Weltrang. Es ist paradox: Ein Inder leitet den Suchmaschinen-Konzern Google, ein anderer den Computerkonzern Microsoft, und praktisch jedes große Tech-Unternehmen hat in Indien einen Ableger gegründet.

Doch in der Liste mit den wertvollsten Start-ups der Welt spielt das 1,25-Milliarden-Einwohner-Land kaum eine Rolle. Acht so genannte Einhörner, Start-ups mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Dollar, gibt es laut den Analysten von "CB Insights" in Indien. In China sind es fast fünfmal mehr, in den USA mehr als zehnmal so viele. Zum Vergleich: Großbritannien kommt auch auf acht, Deutschland auf vier.

Doch hier, in diesem Büro in Bangalore, herrscht trotzdem Optimismus - nicht nur wegen Godoras Bots, die schon jetzt beispielsweise von einen Trainer aus Wales eingesetzt werden, um Online-Sprachkurse anzubieten.

In Indien bewege sich einiges, das ist die Botschaft, die man hier, in den Räumen des Tlabs-Accelerators, vermitteln will. "Ich glaube, es gibt indische Start-ups, die das Potenzial haben, in den nächsten zwei bis drei Jahren globale Leader zu werden", sagt Shalini Priya, die für Tlabs verschiedene Start-ups betreut. Rund 50 junge Unternehmen fördert die 2011 gegründete Start-up-Schmiede insgesamt - finanziell, mit Wissen oder, wie bei Bottr.me, indem es Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Viele große Unternehmen wie der Mobilfunkanbieter Vodafone haben inzwischen ähnliche Programme gestartet.

Große Hoffnungen setzen viele in der Branche auch in Premierminister Narendra Modi, der die Digitalisierung des Landes zu einem seiner Schwerpunkte erklärt hat. "Im vergangenen Jahr wurden viele Gesetze verändert oder auf den Weg gebracht, die sehr gut waren für Start-ups", sagt Shalini Priya. Selbst bei der umstrittenen Bargeld-Reform der Regierung, bei der Anfang November über Nacht 86 Prozent des Bargeldbestandes für ungültig erklärt wurden, sind viele Start-ups Nutznießer.

Eines von ihnen ist der Bezahldienst Paytm. Seit der Währungsreform, deren eigentliches Ziel die Bekämpfung von Korruption ist, hat der Bezahldienst 20 Millionen neue Kunden hinzugewonnnen. Inzwischen sind 177 Millionen Menschen bei Paytm angemeldet. Überall in den großen Städten sieht man Werbung für das Start-up, an dem auch der chinesische Online-Händler Alibaba beteiligt ist - genauso wie für die Angebote der vielen jungen Konkurrenten, die nun um die potenziellen Kunden buhlen. Die Zahl der bargeldlosen Bezahlvorgänge per Smartphone hat sich innerhalb eines Monats laut Regierung auf täglich 6,3 Millionen vervierfacht. Paytm-Gründer Vijay Shekar Sharma sieht in den Umwälzungen daher eine riesige Chance. Sein Start-up solle das erste indische Unternehmen mit einem Firmenwert von mehr als 100 Milliarden US-Dollar werden, sagte er der indischen Zeitung "The Economic Times".

Einigen anderen Hoffnungsträgern verdirbt die Reform hingegen vorläufig das Geschäft: Der Online-Handel leidet, weil die Leute aufgrund der Geld-Knappheit weniger einkaufen. Das trifft zum Beispiel das indische Start-up Flipkart. Auch bei Taxi-Fahrdiensten wie dem Start-up Ola sollen die gebuchten Fahrten zunächst zurückgegangen sein. Und auch Investoren sind vorsichtig und beobachten die Entwicklung des Marktes lieber noch etwas, bevor sie weiteres Geld in Start-ups stecken - zumal einige von ihnen zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht haben.

"In den vergangenen drei bis vier Jahren hat sich eine Blase gebildet", sagt Shalini Priya. "Es wurden einige schlechte Entscheidungen getroffen." Selbst Hoffnungsträger wie die mit mehreren Milliarden Dollar bewerteten Start-ups Ola, Flipkart oder Snapdeal mussten teilweise ihren Firmenwert nach unten korrigieren. "Jeder ist inzwischen etwas vorsichtiger", sagt Priya.

Vielleicht mangelte es bislang auch nur an den richtigen Ideen: Start-ups wie Flipkart oder Ola haben im Grunde einfach nur Geschäftsmodelle von US-Unternehmen wie Amazon oder Uber kopiert. Für Erfolge auf dem indischen Markt mag das reichen, international braucht es jedoch mehr Innovation. "Wir brauchen nicht zehn neue Apps für das gleiche Problem", sagt auch Shalini Priya. Es gebe viele Probleme in Indien, für die es eher eine Lösung bräuchte: die marode Infrastruktur, die Anbindung von Teilen des Landes an das Internet oder auch der Kampf gegen Gesundheits- und Umweltprobleme. "Es gibt viele Dinge, über die jemand nachdenken, die jemand lösen muss", sagt Priya: "Warum sollte das nicht einem Start-up gelingen?"

(frin)
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