Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer im Interview Handwerk will "Abitur plus"

Der Handwerkspräsident fordert duale Gymnasien, an denen Schüler Abitur und Berufsabschluss erwerben können.

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer will "Abitur plus"
Foto: dpa

Das Handwerk klagt über eine Über-Akademisierung in Deutschland. Was wollen Sie tun, um die Lehrberufe im Handwerk attraktiver für junge Menschen zu machen?

Wollseifer Wir konnten allein im Handwerk im vergangenen Jahr 20 000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Im laufenden Jahr wird die Lücke noch größer werden, ich befürchte bis zu 25 000 unbesetzte Plätze. Wir wollen daher mehr Jugendliche mit unserer Imagekampagne auch emotional erreichen, zum Beispiel mit Spots im Internet, im Kino und Fernsehen.

Was bieten Sie denn an Karrieremöglichkeiten im Handwerk?

Wollseifer Der "Markenkern" des Handwerks sind die duale Ausbildung und der Meisterbrief. Dazu gibt es auf allen Stufen Zusatzqualifikationen, Spezialisierungsangebote und Fortbildungen. Darüber muss künftig in allen Schulformen informiert werden - diese Berufsorientierung unterstützt auch Bundesbildungsministerin Wanka. Denn wir brauchen alle - den Hauptschulabsolventen wie den Abiturienten.

50 Prozent aller Kinder machen Abitur, die allermeisten wollen anschließend studieren. Gehen dem Handwerk hier Generationen verloren?

Wollseifer Dass sich so viele hohe Ziele setzen, ist ja ein gutes Zeichen. Hier muss die berufliche Bildung aber viel stärker in den Fokus rücken - auch hier findet höhere Bildung statt! Wir brauchen doch beides: gute Akademiker und gute Fachkräfte, die beruflich qualifiziert sind. Bachelor und Meister stehen auf Augenhöhe. Um mehr leistungsstarke Schulabgänger für das Handwerk zu gewinnen, werden beispielsweise das duale und das triale Studium angeboten.

Wie funktioniert das?

Wollseifer Duales Studium bedeutet: Ich mache meine Berufsausbildung im Betrieb und studiere parallel, erwerbe so Gesellenbrief und Bachelor. In Köln ist das triale Studium gestartet, das jetzt bundesweit Karriere macht: Hier kommt der Meisterbrief als dritter Abschluss hinzu, innerhalb von viereinhalb Jahren. Diese leistungsstarken jungen Leute sind im Handwerk höchst gefragt. In den nächsten zehn Jahren werden 200 000 Handwerksbetriebe an Nachfolger übergeben. Für die Übernahme sind diese Absolventen prädestiniert.

Eine Lehre ist in der Gesellschaft immer noch weniger gut angesehen als ein Studium ...

Wollseifer Dagegen wollen wir eine "höhere Berufsbildung" setzen. Erstes Ziel ist ein duales Gymnasium, das technisch oder wirtschaftlich orientiert ist. Mir schwebt ein "Abitur plus", mit Berufsabschluss, für die Absolventen vor. Es gibt in Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern bereits solche Schulen. Wir wollen das jetzt zusammen mit Bund und Ländern als Leuchtturmprojekt auf den Weg bringen. Denn wir müssen den Jugendlichen Angebote unterbreiten, die attraktiv und gesellschaftlich anerkannt sind.

Was tun Sie für Studienabbrecher?

Wollseifer Wir arbeiten bereits stärker mit den Universitäten zusammen. Gemeinsam kümmern wir uns um Studienaussteiger, bieten ihnen berufliche Karrieren als Alternative an. Dazu gehört eine verkürzte Ausbildung in Kombination mit einer Fortbildung, etwa dem Meisterabschluss. Dabei werden ihre bisherigen Studienleistungen teilweise anerkannt. Wir vergessen aber auch junge Leute nicht, die Unterstützung brauchen - für sie wird es künftig 10 000 Plätze in assistierter Ausbildung geben.

Die Regierung möchte die energetische Gebäudesanierung steuerlich fördern und im Gegenzug die Absetzbarkeit der Handwerkerrechnungen abschmelzen. Einverstanden?

Wollseifer Nein. Beides hat nichts miteinander zu tun. Die Absetzbarkeit der Handwerkerleistungen dient der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Und ohne eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen. Beides ist notwendig. Diese Instrumente gegeneinander aufzurechnen, verbietet sich. Der Steuerbonus für Handwerkerleistungen hat ja auch eine soziale Komponente. Wenn die Politik da eingreift, wäre das eine versteckte Steuererhöhung.

Aber beim Bürokratieabbau in den Finanzämtern wollen Sie helfen?

Wollseifer Wir verstehen den Wunsch der Finanzämter, die Vielzahl der oft kleinen Fälle in den Griff zu bekommen. Wir haben uns bereiterklärt, über eine Fortentwicklung des Handwerkerbonus zu sprechen. Das heißt aber nicht, dass man den Bonus kappt. Ein Sockelbetrag in Form eines Freibetrags von 300 Euro ist für uns indiskutabel. Denn das würde ja bedeuten, dass Steuerzahler jede Rechnung unterhalb von 300 Euro nicht mehr absetzen könnten. Das träfe besonders die Wohnungseigentümer und Mieter mit kleinem Budget, das ist nicht akzeptabel.

Was schlagen Sie also vor?

Wollseifer Wir schlagen vor, dass bei Überschreiten eines Sockelbetrages die volle Summe vom ersten Euro an steuerlich anerkannt wird. Das entlastet die Finanzämter. Es entsteht außerdem ein Anreiz zur Beauftragung von Handwerkern, wenn die Rechnungen gesammelt werden können. Wenn Einzelrechnungen sogar auf das nächste Jahr übertragen werden können, haben auch Geringverdiener einen höheren Anreiz zur legalen Beauftragung.

JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(mar / jd)
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