Analyse MegaBits. MegaHer(t)z. MegaDürftig.

Düsseldorf · Vor einem Jahr hat Hannelore Kraft die Digitalisierung zum Schwerpunkt der Landespolitik erklärt - dann kam die Flüchtlingskrise.

Hannelore Kraft – Ministerpräsidentin von NRW & SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2017
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Das ist Hannelore Kraft

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Foto: dpa, ve

Hannelore Kraft hat ein Herz in der Hand. Ein Jahr ist es her, dass sie mit dem künstlichen Organ ans Rednerpult im Landtag trat. Das Herz sollte ein Symbol sein: Für die Innovationskraft in NRW, das Engagement des Landes, das dieses Projekt gefördert hatte -und ein bisschen vielleicht auch für eine Politik mit Herz, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. In ihrer Rede versprach Kraft mehr davon, NRW sollte zum Gründerzentrum werden, "mit MegaBits. MegaHerz. Und megastark."

Heute, ein Jahr später, ist klar: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Zwischenbilanz fällt dürftig aus. Kritiker sagen, es sei gar nichts passiert. Die Landesregierung würde auf ein Bündel von Maßnahmen verweisen, das sie auf den Weg gebracht hat. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Im Gespräch sagen aber selbst Beteiligte, dass sie sich mehr Tempo wünschen würden.

Denn die Digitalisierung verändert in rasantem Geschwindigkeit unseren Alltag. Startups greifen mit einer Idee nach der anderen etablierte Unternehmen an. Zunächst haben sie sich leicht zu erobernde Märkte vorgenommen, zum Beispiel den Handel. Nun nehmen sie sich die schweren Brocken vor: Die Industrie oder regulierte Märkte wie den Bankensektor. Wer das Tempo nicht mitgehen kann, verliert.

Für NRW, die Industrieregion, bedeutet das: Jetzt kommt es darauf an. Etablierte Unternehmen müssen sich anpassen, junge Startups sich ansiedeln. Dafür braucht es eine Landespolitik, die den Wandel gestaltet, die für die nötige Infrastruktur sorgt und politisch für die Belange der Digitalszene kämpft. Der digitale Wandel ist - vor allem parallel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise - eine Mammutaufgabe.

Von Rot-Grün wird sie nur halbherzig in Angriff genommen. Außer dem Wirtschaftsministerium hat kein Ressort (nebst Staatskanzlei) einen Digitalbeauftragten. Und während das Wirtschaftsministerium eine Digitalstrategie vorgelegt hat, gibt es ähnliches aus keinem anderen Haus. So bleiben Einzelmaßnahmen, wie das an sich sehr gute Pilotprojekt "Informatik an Grundschulen". Die Frage, wie der zu erwartende Mangel an Informatiklehrern ausgeglichen werden soll, wird damit jedoch nicht beantwortet. Problematisch ist, dass es von diesen innovativen Ansätzen zu wenige gibt - und die meisten Projekte bislang nur angestoßen, aber noch nicht umgesetzt wurden.

Die Staatskanzlei hat daher zuletzt selbst die Initiative ergriffen. Mit dem Dialogprozess "Bildung 4.0" soll ein Leitbild für das Lernen im digitalen Wandel entwickelt und in Politik übersetzt werden. Das ist wichtig, da die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert. Die klassische Karriere, bei der Menschen einen Beruf erlernen und ihn bis zum Ruhestand ausüben, wird es so wohl kaum noch geben. Stattdessen wird es darum gehen, lebenslang zu lernen. Auch bei "Bildung 4.0" steht das Ergebnis noch aus.

Gleichzeitig muss sich die Politik bemühen, NRW attraktiver für Gründer zu machen. Das größte Problem ist dabei die Größe. Hamburg, München oder Berlin haben in ihrer Umgebung keinerlei Konkurrenz. Dadurch entsteht eine Sogwirkung, durch die diese Städte immer weitere Gründer anlocken. In NRW gibt es mehr Vielfalt: Köln, Düsseldorf, das Ruhrgebiet - selbst Universitätsstädte wie Münster oder Aachen sind für Gründer interessant. Dadurch gibt es vielerorts interessante Projekte, aber nirgendwo ein richtiges Digitalzentrum, wie es etwa Berlin ist.

Damit muss die Politik umgehen. Im Wirtschaftsministerium versucht man die Regionen durch den Aufbau von fünf digitalen Zentren zu stärken. Wo die sein werden, ist noch unklar. Doch vielleicht wird die Landesregierung nicht umhinkommen, sich auf ein Zentrum festzulegen und dort verstärkt zu fördern. Düsseldorf oder Köln könnten diese Regionen sein. Hier sitzen Großkonzerne, Mittelstand, man ist schnell im benachbarten Ausland und hat Flughäfen praktisch vor der Haustür. Breitband für alle, Förderung für wenige - das könnte die Antwort sein.

Politisch ist das heikel, niemand will sich damit die Finger verbrennen. Doch die Kassen sind zu leer, um landesweit Projekte anzustoßen, die Schlagkraft entwickeln. Denn, das hat 2015 gezeigt, riesige Summen investiert Rot-Grün bei der Digitalisierung kaum. Der Breitbandausbau wäre etwa ohne Bundesmittel kaum möglich.

Umso wichtiger wäre es, eine Allianz zwischen Politik und Wirtschaft zu schmieden. Die landeseigene NRW.Bank fördert viele gute Projekte, doch sie allein kann es nicht richten. Bislang hat sich die Landesregierung zu wenig darum bemüht, Dax-Konzerne für Projekte zu gewinnen. Viele der Großkonzerne haben stattdessen in Berlin Dependancen eröffnet.

Nach einem Jahr bleibt so nur die Erkenntnis, dass einiges angestoßen wurde, aber zu wenig passiert. Eine Gesamtstrategie ist nicht zu erkennen. Ein Jahr ist in der Politik zwar nicht viel, Gesetze brauchen oft Jahre, bis sie ihren Weg ins Parlament finden. Das Problem ist, dass ein Jahr in der digitalen Welt einer kleinen Ewigkeit gleichkommt.

(frin)
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