Interview mit Heinrich Alt Jobcenter fordern mehr Geld für Zuwanderer

Berlin · Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit im Gespräch mit unserer Redaktion über die Auswirkungen des Mindestlohns und die Frage, wie man Zuwanderer möglichst schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert.

 Heinrich Alt kann bislang keine großen Auswirkungen durch den Mindestlohn sehen.

Heinrich Alt kann bislang keine großen Auswirkungen durch den Mindestlohn sehen.

Foto: dpa

Die Arbeitsministerin hat den Auftrag, den Mindestlohn nachzubessern. An welchen Stellen ist das nötig?

Alt Beim Mindestlohn wurde ein Gesetz beschlossen, mit dem man erst einmal Erfahrungen sammeln sollte. Das gilt für die Frage der Arbeitszeitdokumentation ebenso wie für die Frage der Ausnahmen. Sicherlich wird bei einem so umfangreichen Gesetz, mit dem Neuland betreten wurde, auch nachgebessert werden. Ich bin dafür, das Gesetz einige Monate lang seriös zu beobachten und nicht schon nach acht Wochen wieder gesetzgeberisch tätig zu werden. Ich warne vor Hektik bei Änderungen am Mindestlohn.

Ist durch den Mindestlohn die Zahl der Aufstocker gesunken?

Alt Wir haben die Erwartung, dass durch den Mindestlohn die Zahl der in Vollzeit beschäftigten Aufstocker, die als Single leben, zurückgeht. Wir gehen davon aus, dass durch den Mindestlohn in diesem Jahr die Zahl der Aufstocker um 50 000 sinken wird. Finanziell rechnen wir bei den Leistungen der Grundsicherung mit einer Entlastung von 700 bis 900 Millionen Euro. Das Thema Aufstocker ist aber nicht mit dem Mindestlohn erledigt. Bei mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaften wird der Mindestlohn in vielen Fällen nicht zur Existenzsicherung reichen.

Welche Auswirkungen des Mindestlohns können Sie feststellen?

Alt Wir können bislang keine gravierenden Auswirkungen am Arbeitsmarkt feststellen, weder positiv noch negativ. Wir haben einen leicht erhöhten Zugang bei arbeitslosen Taxifahrern. Das könnte mit dem Mindestlohn zusammenhängen, muss es aber nicht. Es könnte auch die Konkurrenz durch den Limousinen-Service Uber sein. Wir werden das aber sehr genau beobachten.

Woran sollte sich die Mindestlohnkommission orientieren, wenn es um die Anhebung des Mindestlohns geht?

Alt Sie wird sich an der allgemeinen Tarifentwicklung und an Lebenshaltungskosten orientieren. Sie wird aber auch in den Blick nehmen, ob in dem einen oder anderen Wirtschaftszweig negative Auswirkungen des Mindestlohns feststellbar sind.

Rechnen Sie 2016 mit der ersten Anhebung des Mindestlohns?

Alt Das hängt von der Lohnentwicklung ab, die zurzeit ja sehr ordentlich ist.

Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Armutszuwanderung nach Deutschland einzudämmen. Wirken diese Maßnahmen?

Alt Ja, die Maßnahmen wirken. Was die europäische Binnenwanderung betrifft, gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Rumänen und Bulgaren. Während die Zahl der arbeitslosen Rumänen in Deutschland bei nur 6,6 Prozent liegt, sind es bei den Bulgaren 15,0 Prozent. Es gibt aber insgesamt einen positiven Trend: Bei beiden Zuwanderungsgruppen aus Südeuropa steigt der Anteil der Beschäftigten schneller als die Zuwanderungszahlen.

Was muss bei der Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt verbessert werden?

Alt Deutschland ist nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt. Wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, so schnell wie möglich die Rückmeldung geben, ob sie bleiben können. Wer bleiben darf, sollte möglichst schnell Deutsch lernen und berufsbezogene Angebote erhalten, damit die Zuwanderer rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Die Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes werden dazu führen, dass wir schneller für diese Personengruppe tätig werden können.

Gibt es denn genug Kapazitäten, diese Menschen zu integrieren?

Alt Wir haben einen Engpass bei Integrationskursen und bei berufsbezogenen Deutschkursen. Wenn wir allen Asylbewerbern und Geduldeten den Zugang zu Integrationskursen ermöglichen wollten, müssten dafür jährlich etwa 300 Millionen Euro mehr zur Verfügung gestellt werden. Bei der berufsbezogenen Sprachförderung kämen vorsichtig geschätzt noch mal 100 Millionen Euro jährlich hinzu, um den Bedarf für Asylberechtigte und Geduldete mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit zu decken. Wir brauchen ausreichend Sprachangebote, denn die Zugangshürden zu unserem Arbeitsmarkt bestehen in der Hauptsache in mangelnden Deutschkenntnissen.

Birgit Marschall und Eva Quadbeck führten das Gespräch.

(mar / qua)
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