Institut für höhere Lohnabschlüsse Ist die Bundesbank verrückt geworden?

Über Jahrzehnte stand die Bundesbank felsenfest für den knallharten Kampf gegen Inflation. Nun ermuntert sie plötzlich die Gewerkschaften, mit mehr Ehrgeiz in die Tarifverhandlungen zu gehen. Was ist da in die Währungshüter gefahren?

Bundesbank-Chef Jens Weidmann steht für eine stabile Geldpolitik.

Bundesbank-Chef Jens Weidmann steht für eine stabile Geldpolitik.

Foto: dpa, ade kno

Gewerkschaften und Arbeitnehmer bekommen für die kommenden Tarifrunden Rückenwind von der Bundesbank. Jahrelang hatte die Zentralbank vor überzogenen Lohnabschlüssen gewarnt. Jetzt wären ihr höhere Tarifabschlüsse durchaus recht.

So sagte Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", über Jahre hätten die Tarifparteien "sehr verantwortungsbewusst Lohnzurückhaltung" geübt. Die Lohnentwicklung in Deutschland sei "vor dem Hintergrund der guten konjunkturellen Lage, der niedrigen Arbeitslosigkeit und der günstigen Perspektiven durchaus moderat".

In den Ohren eines Gewerkschafters heißt das nichts anderes als: Jetzt dürft Ihr zulangen und fordern, was Euch seit Jahren zusteht.

Noch deutlicher sprach sich der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, für spürbare Tarifanhebungen aus. "Wenn man eine längerfristige Perspektive einnimmt, kann die Lohnentwicklung auch für ein, zwei Jahre über den Verteilungsspielraum hinausgehen", sagte Fratzscher.
In den vergangenen 15 Jahren seien die Reallöhne von mehr als der Hälfte der deutschen Arbeitnehmer gefallen.

Der Sinneswandel der Bundesbank hat vor allem mit den fundamentalen Änderungen in der wirtschaftlichen Großwetterlage zu tun. Ihren Ruf als eisenharter Währungshüter erarbeitete sich das Institut vor allem in den 70er Jahren, als die Gewerkschaften enorm hohe Abschlüsse erzielten und damit eine Inflationsspirale in Gang zu setzen drohten. Höhere Löhne, höhere Preise, höhere Löhne und so weiter.

Im Jahr 2014 stellt sich die Lage in Europa jedoch ganz anders dar. Nun heißt das Schreckgespenst am Horizont nicht mehr Inflation, sondern Deflation. Im Juni lag die Inflationsrate in der Euro-Zone bei gerade mal 0,5 Prozent, deutlich unter dem Zielwert der Europäischen Zentralbank, die erst bei knapp zwei Prozent von stabilen Preisen spricht. Auch Deutschland liegt mit einer Inflationsrate von einem Prozent unter dem Soll.

Die drohende Folge im Deflationsszenario: Keiner gibt mehr Geld aus, weil er mit weiter sinkenden Preisen rechnet. Das aber hat fatale Folgen für die Wirtschaft. Wenn keiner mehr kauft, sinkt der Absatz, die Unternehmen müssen Kosten sparen und womöglich Personal abbauen. Die Einkommen sinken, es wird noch weniger ausgegeben, die Preise sinken weiter, der Teufelskreislauf nimmt seinen Lauf.

Die jüngste Entwicklung im Lohngefüge lassen allerdings hoffen: So stiegen die Tarifgehälter in Deutschland 2014 so stark wie noch nie in diesem Jahrtausend. Nach den Abschlüssen im ersten Halbjahr hatte das WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung vor kurzem eine durchschnittliche Tarifsteigerung von 3,1 Prozent errechnet. Dieser Wert liegt über den Vorjahren und auch deutlich oberhalb der erwarteten Inflationsrate, weshalb hohe Reallohnsteigerungen anstehen.

Besonders ins Gewicht fallen 2014 demnach die hohen Abschlüsse in der Chemieindustrie (3,7 Prozent auf 14 Monate) und im öffentlichen Dienst des Bundes und der Gemeinden. Der Verdi-Abschluss bringe den Beschäftigten im Jahr 2014 durchschnittlich 3,4 Prozent mehr Geld. Die unteren Lohngruppen profitierten sogar noch stärker.

(dpa)
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