„Ich habe bei Bayer noch viel vor“

Leverkusen · Der Niederländer Marijn Dekkers hat aus Bayer den wertvollsten deutschen Konzern gemacht. Wir treffen ihn in seinem Büro in Leverkusen. Er hat es von Vorgänger Werner Wenning übernommen und kaum verändert. Drei historische Aspirin-Plakate hat der Chemiker neu aufgehängt.

Als Sie vor vier Jahren Bayer-Chef wurden, lautete Ihr Motto: Evolution statt Revolution. Nun trennen Sie die Chemiesparte (Bayer MaterialScience) ab und machen aus dem Drei-Beine- einen Zwei-Beine-Konzern. Mehr Revolution geht kaum.

Dekkers Ich bin kein Revolutionär. Vor vier Jahren wäre eine Trennung von MaterialScience vielleicht noch eine Revolution gewesen. Jetzt ist sie ein logischer Schritt: Die Teilkonzerne HealthCare und CropScience haben sich sehr erfolgreich entwickelt. Gleichzeitig steigt ihr Investitionsbedarf. Aber auch MaterialScience muss in den nächsten Jahren viel investieren. Deswegen soll Material-Science einen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt erhalten, um nicht mit den renditestarken Life-Science-Geschäften um Ressourcen konkurrieren zu müssen. Auf diese Weise profitieren beide Unternehmen.

Schmerzt es nicht, als der Vorstandschef in die Bayer-Geschichte einzugehen, der die historischen Wurzeln des Chemiekonzerns gekappt hat?

Dekkers Chemie ist mehr als die Polymer-Werkstoffe, von denen wir uns nun trennen. Auch bei den Life Sciences geht es immer um Moleküle und ihre Anwendung. Insofern bleibt Bayer der Chemie also treu.

Die Organisation als Holding mit zwei Teilkonzernen wird sinnlos. Drei Vorstände, drei Aufsichtsräte, da ließe sich einiges sparen.

Dekkers Wir werden uns die Organisation ansehen. Wichtiger ist aber die Forschung und Entwicklung. Ob sie ein Krebsmedikament entwickeln oder ein Mittel, das Weizen von einem Pilz befreit - am Ende geht es immer um Moleküle, die in Zellprozesse eingreifen. Hier können die Forscher aus beiden Bereichen noch stärker zusammenarbeiten.

Derzeit arbeitet Bayer an der Trennung der Kunststoffsparte. Wann ist das Chemiegeschäft an der Börse?

Dekkers Wir sind voll im Zeitplan und gehen davon aus, dass das neue Unternehmen bis spätestens Mitte 2016 an der Börse notiert ist. Derzeit arbeiten wir an der wirtschaftlichen Trennung, also zum Beispiel an der Aufteilung der Vermögenswerte. Es wird einen Börsenprospekt geben, und dann werden wir ein gutes Zeitfenster nutzen, um den Börsengang oder den Spin-off zu starten.

Beim klassischen Börsengang (IPO) bieten Sie die Aktien öffentlich über die Börse an. Beim Spin-off legen Sie den Bayer-Aktionären die neue Aktie ins Depot. Was bevorzugen Sie?

Dekkers Wir bevorzugen einen klassischen Börsengang. Die Erlöse könnten wir in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte stecken oder auch in den Schuldenabbau. Doch wenn das Marktumfeld nicht gut ist...

Sie meinen, wenn der Dax unter 8000 Punkten ist ...

Dekkers Daran alleine möchte ich das nicht festmachen. Wenn das Marktumfeld grundsätzlich keinen klassischen Börsengang zulässt, ist der Spin-off eine sehr gute Alternative.

Was soll MaterialScience bringen? Analysten bewerten das Unternehmen mit zehn Milliarden Euro.

Dekkers Über die möglichen Erlöse eines Börsengangs möchte ich nicht spekulieren. Es dürfen auch gerne mehr als zehn Milliarden Euro sein (lacht). MaterialScience ist ein gut aufgestelltes Unternehmen, das mit vielen Produkten globaler Marktführer ist und sehr gute Zukunftsaussichten hat.

Wenn Sie einen Börsengang machen: Bringen Sie 100 Prozent auf einen Schlag an die Börse?

Dekkers Nein, das tut meist dem Kurs nicht gut. Man könnte beispielsweise in einem ersten Schwung zunächst 30 bis 50 Prozent an die Börse bringen und die restlichen Aktien in einem nachgelagerten Schritt. Am Ende werden wir das neue Unternehmen komplett von Bayer abgenabelt haben.

Das Kind muss einen Namen haben. Wie soll es heißen?

Dekkers Daran arbeiten wir zurzeit. Es gibt bereits Vorschläge, auch von Mitarbeitern. Diese werden wir gründlich prüfen, auch mit Blick auf rechtliche Fragen.

Worauf müssen sich die MaterialScience-Standorte Leverkusen, Krefeld, Dormagen einstellen: Drohen Schließungen?

Dekkers Wir haben gerade eine weitgehende Beschäftigungssicherung mit dem Betriebsrat vereinbart: Danach wird es bis Ende 2020 keine betriebsbedingten Kündigungen bei Bayer geben. Diese Zusage gilt auch für die MaterialScience-Mitarbeiter. Außerdem haben wir uns darin verpflichtet, im Zusammenhang mit dem Börsengang von MaterialScience keine Standorte in Deutschland zu schließen oder Unternehmenszentralen zu verlagern. Zudem wollen wir hier die Forschung stärken und wie geplant weiter investieren.

Über die CO-Pipeline, die zwei MaterialScience-Werke verbindet, entscheidet nun Karlsruhe. Haben Sie die Pipeline nach acht Jahren Streit aufgegeben?

Dekkers Nein, MaterialScience braucht die Pipeline, damit der Standort Krefeld weiter wettbewerbsfähig arbeiten kann. Wir müssen abwarten, wie das Verfassungsgericht entscheidet. Wir hoffen weiter, dass die Pipeline in Betrieb gehen kann.

Sie wollen Bayer als Life-Science-Konzern aufstellen. Schönes Schlagwort, aber was heißt das konkret?

Dekkers Wir werden uns noch stärker für die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze engagieren und noch mehr auf Innovationen setzen. So wollen wir unsere Forschungsausgaben weiter erhöhen. Den größten Bedarf hat natürlich unser Pharma-Geschäft, aber wir wollen zum Beispiel auch unser Saatgut-Geschäft ausbauen. Wir sind gut im Pflanzenschutz, nun wollen wir besser werden beim Saatgut.

Sie setzen auf Moleküle. Werden Sie das Geschäft mit Diabetes-Geräten verkaufen?

Dekkers Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu Spekulationen nicht äußern möchte.

Das Schlaganfall-Mittel Xarelto ist Ihr Kassenschlager. Doch die Zahl der Kläger steigt, die es für schwere Blutungen und Todesfälle verantwortlich machen. Wird Xarelto zum neuen Lipobay, jener Fettsenker, den Bayer 2001 vom Markt nahm?

Dekkers Das kann man nicht vergleichen, auch wenn das Rechtssystem in den USA zu Klagen ermuntert. Richtig ist, dass uns Klagen vor US-Gerichten im Zusammenhang mit Xarelto zugestellt wurden. Die Verfahren sind in einem frühen Stadium. Wir stehen zu dem Produkt mit seinem positiven Nutzen-Risiko-Profil und werden uns verteidigen. Xarelto wurde ausgiebig geprüft und ist eine wichtige Behandlungsoption für die Patienten. Alle Gerinnungshemmer haben ein Blutungsrisiko. Dieses Risiko ist seit Zulassung des Medikaments in der Produktinformation beschrieben, so dass Ärzte das Risiko gegen den Nutzen abwägen können.

In Deutschland sind die Energiekosten viel höher als in den USA. Wie gefährlich schätzen Sie die Lage ein?

Dekkers Deutschlands Stromkosten sind international nicht mehr wettbewerbsfähig. In Texas kostet Industriestrom nur halb so viel wie hier in Nordrhein-Westfalen. Einige Unternehmen haben sich bereits entschieden, neue energieintensive Werke in den USA und nicht in Deutschland zu errichten.

Ist der Strom wirklich der Grund? Viele Industrien sind doch von der Ökostrom-Umlage befreit.

Dekkers 90 energieintensive Chemie-Unternehmen sind von der Umlage weitgehend entlastet, dazu gehört auch Bayer Material Science. Etwa 1500 Chemie-Unternehmen müssen die Umlage aber in voller Höhe zahlen. Insgesamt zahlt die Chemie rund eine Milliarde Euro pro Jahr für die Ökostrom-Förderung. Die Energiewende ist im Grunde richtig. Die Art, wie sie umgesetzt wird, treibt Investitionen und irgendwann vielleicht auch Unternehmen aus dem Land.

Sie verlassen Bayer Ende 2016. Der frühere Finanzchef Baumann gilt, in guter Bayer-Tradition, als Kronprinz. Wäre er ein guter Nachfolger?

Dekkers Über meine Nachfolge wird der Aufsichtsrat entscheiden. Klar ist: Ich bin noch zwei Jahre bei Bayer und habe hier noch viel vor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich den Zeitpunkt meines Ausscheidens frühzeitig bekannt gegeben habe.

Wollen Sie anschließend in den Aufsichtsrat?

Dekkers Das werden wir sehen. Ich breche meine Zelte in Deutschland jedenfalls nicht ab. Meine Familie fühlt sich hier wohl. Wir werden unser Haus in Düsseldorf behalten, auch wenn meine Töchter zum Studieren in die USA gehen.

ANTJE HÖNING UND LUDMILLA HAUSER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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