Hannover Kluft zwischen IG BCE und Verdi belastet den DGB

Hannover · Beide Gewerkschaften streiten über eine Unterschriftenaktion zur Tarifeinheit und über Branchen-Zuständigkeiten.

Wer einen Blick in die Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wirft, der findet dort folgenden Satz: "Der Bund vereinigt die Gewerkschaften zu einer wirkungsvollen Einheit und vertritt ihre gemeinsamen Interessen." Soweit die Theorie. Tatsächlich jedoch knirscht es gerade gewaltig im Gebälk des Dachverbands. Festmachen kann man dies an Streitigkeiten zwischen der IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE) und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Beide Organisationen könnten unterschiedlicher nicht sein: Während die IG BCE sich damit brüstet, dass sie seit 1971 kein einziges Mal in ihrer Hauptbranche, der chemischen Industrie, zum Streik greifen musste, ist Verdi angriffslustiger: Allein derzeit hat die Gewerkschaft beim Internethändler Amazon und bei der Arbeiterwohlfahrt in NRW zu Arbeitskämpfen aufgerufen.

Auch bei dem derzeitigen Konflikt geht es ums Streiken. Konkret um die Pläne der großen Koalition, den Einfluss kleiner Spartengewerkschaften mit einem Gesetz zur Tarifeinheit einzuschränken. Nach dem Entwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) soll das vom Bundesarbeitsgericht 2010 gekippte Prinzip "ein Betrieb, ein Tarifvertrag" wiederhergestellt werden. Der DGB unterstützt das Vorhaben, doch drei seiner Mitgliedsgewerkschaften - Verdi, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - sind aus Sorge um Eingriffe ins Streikrecht dagegen. Sie starteten zum Unmut der übrigen DGB-Mitglieder eine Unterschriftenaktion. "Das hat es noch nie gegeben, dass wir innerhalb des DGB gegeneinander Unterschriften gesammelt haben", kritisierte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis bei der Jahrespressekonferenz in Hannover. Die drei seien damit "über das Ziel hinausgeschossen". Der Streit werde den DGB nicht zerreißen, "aber es hat schon ein bisschen Ärger gegeben".

Und es ist nicht die einzige Baustelle zwischen Verdi und IG BCE: Streit gibt es auch um die Zuständigkeiten in einzelnen Branchen. Die Branchenzuschnitte passten nicht mehr, sagte Vassiliadis. "Was wir beobachten, ist, dass wir uns im DGB nicht zusammensetzen und über veränderte Bedingungen und Zuschnitt diskutieren, sondern uns Grenzkonflikte gönnen." Konkret gebe es Streit über die Zuständigkeit in der Energiewirtschaft. So seien etwa die Mitarbeiter des Netzbetreibers Tennet geschlossen von Verdi zur IG BCE übergetreten. Ein weiterer Kriegsschauplatz sei die Wasserwirtschaft in Ostdeutschland. "Da hat Verdi einen Streik angezettelt, um uns aus den Unternehmen herauszubekommen. Das ist geschmacklos", so Vassiliadis. Dabei wäre es für die Gewerkschaften angesichts der großen Umbrüche auf dem Energiemarkt gerade jetzt nötig zusammenzuarbeiten.

Eine weitere Spitze konnte sich Vassiliadis nicht verkneifen: "Im Schnitt haben wir in unseren Branchen einen Organisationsgrad von 47 Prozent", sagte er. "Nimmt man die Top-fünf-Branchen, die Verdi organisiert, dann sind das 13,9 Millionen Beschäftigte - dem muss man zwei Millionen Mitglieder gegenübersetzen. Das heißt, Verdi ist zwar groß, aber nicht stark." Die von der DGB-Satzung geforderte "wirkungsvolle Einheit" klingt anders.

(RP)
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