Jörg Hofmann "Ohne Nachbesserung unbefristete Streiks"

Düsseldorf · In Deutschlands größter Branche, der Metall- und Elektroindustrie, sind am Freitag 110.000 Beschäftigte aus 400 Betrieben für fünf Prozent mehr Lohn in den Warnstreik getreten. Und es könnte für die Arbeitgeber noch dicker kommen, verrät IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Interview mit unserer Redaktion.

 Jörg Hofmann ist seit 2015 Erster Vorsitzender der IG Metall.

Jörg Hofmann ist seit 2015 Erster Vorsitzender der IG Metall.

Foto: IG Metall

Herr Hofmann, vor genau einem Jahr hat Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger im Gespräch mit unserer Redaktion von einer Sinnkrise der Gewerkschaften gesprochen. Es mangle an eindeutigen Themen.

Hofmann Ich sehe keine Sinnkrise. Gewerkschaften sind bei den aktuellen Themen — etwa der Zukunft der digitalisierten Arbeitswelt — wichtiger denn je.

Was ist denn die zentrale These Ihrer Rede zum 1. Mai in Düsseldorf?

Hofmann Deutschland ist zwar ein reiches Land, aber ein Land wachsender Ungleichheit — im Vermögen, bei den Chancen und auch bei den Einkommen. Das muss sich ändern.

Da müssen Sie sich aber an die eigene Nase fassen. Schließlich sind Sie mit ihren Tarifabschlüssen an der Verteilungsfrage maßgeblich beteiligt.

Hofmann Das stimmt für die moderaten Tarifabschlüsse der 90er-Jahre bis Anfang dieses Jahrtausends. Genau in diesen Jahren haben die Unternehmer aber massiv Tarifflucht betrieben. Dadurch ist unser Schwert stumpfer geworden. Da hat seit 2004 in der Metall- und Elektroindustrie gottlob eine Wende eingesetzt. Der Abwärtstrend ist gestoppt. Aber das reicht noch nicht. Deshalb beziehen wir in dieser Tarifrunde stark tarifungebundene Firmen ein.

 Airbus-Mitarbeiter am Freitag in Hamburg während eines Warnstreiks vor dem Werk in Finkenwerder.

Airbus-Mitarbeiter am Freitag in Hamburg während eines Warnstreiks vor dem Werk in Finkenwerder.

Foto: dpa, dbo gfh

Sie sprechen von der Aktionswoche, mit der Sie jüngst mit Warnstreiks und anderen Aktionen Druck auf tarifungebundene Firmen gemacht haben. Wie erfolgreich war das?

Hofmann Wir haben in allen Regionen Deutschlands Mitglieder hinzugewonnen und Unternehmen zurück in die Tarifbindung gedrängt. Den Arbeitgebern muss aber klar sein: Das ist kein Kurzläufer, sondern eine langfristige Kampagne. Wir lassen da nicht mehr locker.

Rainer Dulger hat vor einem Jahr auch gesetzliche Regeln für den Warnstreik verlangt. Die könnte er angesichts der aktuellen Warnstreiks gut brauchen.

Hofmann Das Streikrecht ist ein Grundrecht, und das nehmen wir jetzt auch wahr. Wir werden in der großen Fläche Warnstreiks durchführen. Das haben sich die Arbeitgeber selbst zuzuschreiben. Ihr Angebot ist Magerkost für die Beschäftigten zugunsten der Profite.

Sie haben sich eine neue Streikordnung gegeben. 24-Stunden-Warnstreiks sind jetzt möglich. Werden Sie das Instrument auch anwenden?

Hofmann Es ist eine Option, keine Pflicht. Wir wollen eine schnelle Verhandlungslösung.

Die Arbeitgeber haben angedeutet, sie könnten solche Tagesstreiks juristisch überprüfen lassen. Besorgt?

Hofmann Nein. Das hohe Gut der Tarifautonomie verlangt das Streikrecht.

Die Arbeitgeber haben Ihnen das niedrigste Angebot seit Jahrzehnten vorgelegt. Wie groß ist der Unmut?

Hofmann Enorm. Wir hatten mit fünf Prozent ein Kompromiss-Signal gesetzt. Die niedrigste Forderung seit langem. Die Arbeitgeber haben das nicht aufgegriffen. Sie setzen auf eine Kehrtwende in der Lohnpolitik. Darin liegt der Grundkonflikt, der hier angezettelt wird. Der Abschluss wird deutlich über diesem Angebot liegen. Wie der Verband das seinen Mitgliedern verkaufen will, ist mir ein Rätsel.

Gesamtmetallvertreter sprechen aber von einem Scheinaufschwung und warnen vor einem Abwandern der Industrie ins Ausland.

Hofmann Das ist, entschuldigen Sie, Blödsinn. Dann müssten die Arbeitgeber konsequenterweise auch von Scheinprofiten reden und keine Dividenden ausschütten. Das tun sie aber kräftig. Allein die vier größten Verbandsmitglieder von Gesamtmetall kommen auf eine Dividendensumme, aus der sich die komplette Forderung der IG Metall für alle Beschäftigte finanzieren ließe. Auch das zeigt: Wir haben eine stabile konjunkturelle Lage, volle Auftragsbücher und eine gute Ertragssituation.

Es gibt aber Unternehmen — etwa im Energiesektor — die mit Schwierigkeiten kämpfen. Müssten Sie für die nicht Öffnungsklauseln zulassen?

Hofmann Wir haben für solche Fälle das Pforzheimer Abkommen. Wenn die IG Metall zustimmt, sind Abweichungen schon heute möglich. Im Übrigen orientieren wir uns bei der Forderungsfindung nicht nur an den Stars oder den Schlusslichtern der Branche. Wir lassen da schon Augenmaß walten.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Warnstreiks ihre Wirkung verfehlen und Sie erstmals wieder zur Urabstimmung aufrufen?

Hofmann Es wäre schön, wenn wir auf dem Wege des Verhandelns zeitnah zu einem Ergebnis kommen. Wenn die Arbeitgeber aber die Signale, die jetzt von unseren Warnstreiks ausgehen, nicht kapieren und ihr Angebot in der nächsten Runde nicht noch einmal ordentlich aufstocken, dann reden wir auch über Urabstimmung und Streik.

Kommen wir zur krisengebeutelten Stahlbranche. Bei Thyssenkrupp wird derzeit über ein Zusammengehen mit Tata Steel gesprochen. Was halten Sie von einem solchen Modell?

Hofmann Bisher habe ich noch von keinem Thyssenkrupp-Manager eine plausible Antwort darauf bekommen, warum sie den Konsolidierungsdruck wie ein unverrückbares Mantra vor sich hertragen. Eine Konsolidierung ist nicht zwangsläufig die Lösung der Branchenprobleme. Und dem Konzern muss klar sein: Wir werden genau darauf achten, dass jede Lösung, sichere Perspektiven für die Beschäftigten bietet.

Wäre Ihnen eine Fusion Salzgitter/Thyssenkrupp lieber?

Hofmann Es lohnt sich nicht über jedes denkbare Modell zu philosophieren, das gerade auf dem Markt ist. Ich erwarte jetzt erst mal von den Vorständen, dass sie uns genau erklären, woher dieser vermeintliche Konsolidierungs-Zwang kommen soll und was er bringen soll. Nur weil ein Investor im Hintergrund Druck macht, heißt das noch lange nicht, dass man sofort springen muss. Das bringt nur unnötig Unruhe in die Belegschaft.

Der Vorstoß der Bundesregierung für eine Prämie beim Kauf von E-Mobilen erntet nicht nur Zustimmung. Was halten Sie von den Plänen?

Hofmann Alle bisherigen Versuche, bei der Elektromobilität in Deutschland voranzukommen, waren zu zögerlich. Da sind etwa die Norweger oder die Niederländer schon viel weiter. Deshalb ist es gut, dass sich jetzt was bewegt und Deutschland damit nicht nur Hersteller-, sondern auch Abnehmerland wird. Die zeitlich befristete Prämie begrüßt die IG Metall ausdrücklich. Elektroautos müssen günstiger werden, damit sie hierzulande akzeptiert werden. Dafür müssen sie in größerer Stückzahl hergestellt werden. Nur dann gehen auch die Kosten runter.

Müsste nicht der Erste Vorsitzende der IG Metall mit gutem Beispiel vorangehen und auf ein Elektroauto umsteigen?

Hofmann Ich bin regelmäßig mit einem Carsharing-E-Mobil unterwegs. Um vollständig umzusteigen, muss aber das Reichweitenproblem gelöst werden, dazu braucht es neue Batterietechnologie. Und ich plädiere dafür, dass darauf der Stempel: made in Germany steht. Und es muss bundesweit viel mehr Ladestationen geben. Erst dann wird das Elektroauto von einem Phänomen der Ballungsräume zur akzeptierten Massenware.

Maximilian Plück führte das Interview.

(maxi)
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