Finanzen Jeder zehnte Erwachsene ist überschuldet

Berlin/Köln · Überschuldung hängt vor allem damit zusammen, wo man lebt, zeigt eine Studie des Instituts der Wirtschaft. Wo die Arbeitslosigkeit höher ist, leben auch besonders viele Bürger mit hohen Schulden. Das Ruhrgebiet ist dafür ein Beispiel.

Die Schuldenfalle in Deutschland: Jeder zehnte Erwachsene ist überschuldet
Foto: ferl

Zehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind überschuldet - und besonders viele von ihnen leben im Ruhrgebiet. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach überstieg der Anteil der stark verschuldeten Menschen an allen erwachsenen Bundesbürgern im vergangenen Jahr erstmals seit 2008 wieder knapp die Zehn-Prozent-Marke.

Die Wirtschaftsforscher können anhand ihrer Daten nachweisen, dass Schuldnerquoten überall dort besonders hoch sind, wo im Schnitt auch die geringsten Einkommen erzielt werden. In Nordrhein-Westfalen gilt dies vor allem für die Ruhrgebietsstädte. Aber auch in Ostdeutschland oder in schwächeren westdeutschen Städten wie Bremerhaven oder Pirmasens sind auffallend viele Bürger überschuldet.

Die Forscher berufen sich auf Daten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, die auch als Inkasso-Unternehmen tätig ist. Als übermäßig verschuldet gelten bei Creditreform Menschen, die eine Reihe von Überschuldungsmerkmalen zeigen. "Weiche Merkmale" sind besonders viele verspätete Zahlungen oder offene Mahnungen. Zu den "harten Merkmalen" zählt Creditreform juristische Sachverhalte wie Privatinsolvenzen oder Haftanordnungen. Diese harten Merkmale betreffen sechs von zehn Schuldnern.

Im vergangenen Jahr wiesen bundesweit 6,85 Millionen über 18-Jährige in 3,37 Millionen Privathaushalten solche Überschuldungsmerkmale auf. Männer sind den Daten zufolge häufiger betroffen: 12,7 Prozent aller Männer haben ein Schuldenproblem, doch nur 7,6 Prozent der Frauen. Besonders hoch ist mit 14,5 Prozent die Überschuldungsquote bei den unter 30-Jährigen. Senioren sind dagegen nur sehr selten überschuldet.

Oft fange ein Schuldenproblem damit an, dass der Rechnungsempfänger ausstehende Beträge bewusst nicht zahlt, weil anfangs nur geringe Sanktionen zu befürchten seien. Ein Leben über den eigenen Verhältnissen "aufgrund unzureichender Finanzbildung" komme nicht selten vor, ebenso wie plötzliche Einkommensausfälle, schreiben die Studienautoren Klaus-Heiner Röhl und Christoph Schröder. Oft gehe eine Überschuldung mit Arbeitslosigkeit und einem dauerhaft zu geringen Verdienst einher.

Das werde deutlich, wenn man die regionale Verteilung der Schuldnerzahlen und die Daten für die Einkommensarmut miteinander vergleiche. Dort, wo Arbeitslosigkeit und Niedrigeinkommen besonders oft vorkommen, sei auch die Zahl der Schuldner besonders hoch.

Definiert ist Einkommensarmut durch den Anteil der Personen in einer Region, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens erzielen. Stark von dieser Einkommensarmut betroffen seien die östlichen Bundesländer, aber auch westdeutsche Stadtregionen mit Strukturproblemen wie Duisburg oder Gelsenkirchen.

"Besonders hoch ist die Überschuldungsquote in Nordrhein-Westfalen. Das Ruhrgebiet hat den Strukturwandel bis heute nicht gemeistert. Es bleibt ein ,Hot-Spot' sozialer Problemlagen", schreiben Röhl und Schröder. Einkommensarmut aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit sei im Ruhrgebiet besonders ausgeprägt. Mit Gelsenkirchen, Herne, Duisburg und Hagen "gibt es vier Ruhrgebietsstädte mit sehr hoher Überschuldungsquote, die auch eine hohe Armutsbetroffenheit aufweisen". Auf einem noch schlechteren Rang befinde sich allerdings Bremerhaven im hohen Norden. In Ostdeutschland sei die Überschuldungsquote in Sachsen-Anhalt mit 12,7 Prozent am höchsten. Auch bei der Einkommensarmut rangiere das Land ganz oben. Umgekehrt lasse sich die enge Korrelation zwischen Einkommen und Überschuldung auch in den reichen Regionen Deutschlands nachweisen. So seien die Schuldnerquoten in den zehn bayerischen Landkreisen mit Werten von unter sechs Prozent besonders gering, in denen auch am besten verdient wird.

Um die zunehmende Verschuldung vieler Bürger zu bekämpfen, sollte die Politik die Faktoren angehen, die zu höherer Armut in einer Region führten, fordern die Studienautoren. "Kern einer solchen Politik sollte eine chancensteigernde Hilfe zur Selbsthilfe sein." Werde etwa Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf durch eine bessere Ganztagsbetreuung erleichtert, erhöhe dies die Arbeitsmöglichkeiten und mindere die Gefahr finanzieller Engpässe. "Bildungsdefizite sind ein weiterer häufiger Grund für Arbeitslosigkeit und Niedrigeinkommen", so das IW. Der Staat müsse deshalb stärker am Arbeitsmarkt orientierte Bildungsangebote machen. Von Armut betroffene Regionen müssten auch Firmengründer und kleine Unternehmen gezielter fördern.

(mar)
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