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Jens Baas im Interview "Zu viele Betten, zu teure Arzneien, falsche Honorare"

Düsseldorf · Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, spricht im Interview mit unserer Redaktion über stabile Beiträge 2017, das Schummeln von Krankenkassen und Kardiologen, die sich selbst Nachfrage schaffen.

 Der Mediziner Jens Baas ist seit Juli 2012 Vorsitzender des Vorstands der TK. Zuvor arbeitete er bei der Unternehmensberatung Boston Consulting.

Der Mediziner Jens Baas ist seit Juli 2012 Vorsitzender des Vorstands der TK. Zuvor arbeitete er bei der Unternehmensberatung Boston Consulting.

Foto: TK

Sie tragen einen Fitnesstracker am Arm. Wie viel Schritte schaffen Sie am Tag?

Baas An schlechten Tagen nur 5000 Schritte, mein persönliches Ziel sind aber 10.000 Schritte. Das schaffe ich oft nur, wenn ich viele telefoniere. Denn dabei gehe ich immer um meinen Schreibtisch herum.

Aktuell telefonieren Sie womöglich viel mit Ihren Verwaltungsräten, denn die Entscheidung über den Zusatzbeitrag für 2017 steht an. Wird die TK ihn erhöhen?

Baas Ich werde dem Verwaltungsrat vorschlagen, den Zusatzbeitrag unverändert bei 1,0 Prozent zu lassen. Damit liegt die TK weiter unter dem Schnitt, der aktuell und auch im kommenden Jahr 1,1 Prozent beträgt. Der allgemeine Beitragssatz, der für alle hinzukommt, bleibt ohnehin bei 14,6 Prozent stabil. Die Ausgaben steigen zwar, doch wegen des Wirtschaftsbooms steigen auch die Beitragseinnahmen - allerdings nicht so stark wie die Kosten.

Was erwarten Sie für die Branche?

Baas Ich gehe wie der Schätzerkreis davon aus, dass der Zusatzbeitrag 2017 im Durchschnitt stabil bleibt. Allenfalls einzelne Kassen werden ihn erhöhen. Aber 2018 wird das ganz anders aussehen. Dann müssen sich Mitglieder über alle Kassenarten hinweg auf steigende Zusatzbeiträge einstellen.

Wie stark?

Baas Ich erwarte, dass der Beitragssatz 2018 im Schnitt aller Kassen um 0,2 Prozentpunkte auf dann 1,3 Prozent steigen wird. Damit haben wir im Branchenschnitt einen Gesamtbeitrag von 15,9 Prozent. Ursachen sind die Kostensteigerungen bei Kliniken, Medikamenten, Ärzten. Wir haben zu viele Betten, zu teure Medikamente und eine falsche Honorarverteilung bei Ärzten.

Was läuft bei Arzneien schief?

Baas Der Gesundheitsminister ist den Pharmafirmen bei den innovativen Medikamenten zu weit entgegen gekommen. In den ersten Monaten nach Markteinführung dürfen die Hersteller Mondpreise nehmen. Erst wenn die Nutzen-Bewertung abgeschlossen ist, wird der Preis gedeckelt. Wir fordern, dass die gedeckelten Preise auch rückwirkend ab dem Tag der Markteinführung gelten. Dann würden sich die Pharmahersteller von Anfang an mäßigen.

Nun will Minister Gröhe auch noch den Versandhandel verbieten, um Apotheken zu schützen.

Baas Ein Verbot des Versandhandels halte ich für den falschen Weg. Damit droht der Gesundheitsminister Schiffbruch vor dem Europäischen Gerichtshof zu erleiden, denn ein Verbot dürfte die Spielregeln des EU-Binnenmarktes verletzen. Aber natürlich müssen wir dafür sorgen, dass auf dem Land die Versorgung gewährleistet ist und Apotheken dort nicht in ihrer Existenz gefährdet werden.

Der größte Kostenblock der GKV sind die Krankenhäuser. Was läuft hier schief?

Baas Nur 75 Prozent der Klinikbetten sind im Schnitt belegt. Um ihre Kapazitäten auszulasten, operieren und behandeln die Kliniken immer mehr — und oft unnötig.

Ein Beispiel?

Baas Bei Patienten, die eine Herz-OP nur schwer verkraften, kann man auch mit einer Katheter-Untersuchung eine künstliche Herzklappe einsetzen. Da diese Eingriffe sehr gut bezahlt sind, ist ihre Zahl sprunghaft angestiegen: in der gesetzlichen Krankenversicherung von 2010 bis 2015 von 2.879 pro Jahr auf 13.132 - ein Zuwachs von 356 Prozent. Die Kardiologen, die Katheter-Eingriffe vornehmen, schaffen sich so ihre eigene Nachfrage. Dabei sind diese OPs nicht für jeden Patienten die bessere Alternative, für viele Patienten wäre eine klassische Herz-OP beim Chirurgen geeigneter.

Wie viel Betten oder Kliniken sind überflüssig?

Baas Ein gewisser Leerstand gehört zum Alltag dazu, Kliniken müssen ja auch Betten vorhalten. Aber mehr als10 bis 15 Prozent der Betten sollte der Leerstand sicher nicht betragen, damit könnten also gut 10 Prozent der heutigen Betten-Kapazitäten abgebaut werden - ohne Verlust für die Versorgungsqualität.

Wie kann man das schaffen? In jedem Bett liegt bekanntlich ein Kommunalpolitiker, der es verteidigt.

Baas Die Klinikfinanzierung ist falsch organisiert. Derzeit kommen die Länder für Investitionen auf, die Kassen für Betriebsausgaben. Doch da die Länder ihren Verpflichtungen oftmals nur unzureichend nachkommen, versuchen die Kliniken, immer mehr Geld von den Kassen zu bekommen. Zugleich tut sich die Politik schwer, Häuser zu schließen. Besser wäre es, die Finanzierung umzustellen: Die Kassen kommen für alles auf, entscheiden dann aber auch bei der Krankenhausplanung mit.

Für falsch konstruiert halten Sie auch den Gesundheitsfonds, aus dem die niedergelassenen Ärzte bezahlt werden.

Baas Eine Kasse, für deren Versicherte möglichst viele und schwere Krankheiten dokumentiert sind, bekommt besonders viel Geld aus dem Fonds. Diese Regelung hat zu einem Wettbewerb um Diagnose-Kodierungen geführt. Da sind die AOKen früh eingestiegen. Wer Ärzte motivieren kann, ausführlicher zu kodieren, hat finanzielle Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern.

Schummelt die TK?

Baas Da werde ich immer falsch zitiert: Weder wir noch die Mehrheit der anderen Kassen schummelt in dem Sinne, dass wir etwas Illegales tun. Die Krankenkassen geben allerdings tatsächlich viel Geld dafür aus, um korrekte Kodierungen zu erhalten - und das mit unterschiedlichen Mitteln. Auch wir sind gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die sich unter anderem darauf beziehen, dass der Krankheitszustand unserer Versicherten richtig erfasst wird. Täten wir das nicht, erhielten wir nicht die Mittel aus dem RSA, die uns zustehen, und dann müsste unser Beitragssatz höher liegen. Außerdem würde ich die Ressourcen der Kassen lieber für Prävention und Therapie statt für Kodierung einsetzen. Das Problem ist ein moralisches: Wofür soll das Geld der Versicherten eingesetzt werden: zur Gesunderhaltung und Gesundung oder zur Kodieroptimierung? Kurz: Wir brauchen ein anderes Anreizsystem.

Was muss geschehen?

Baas Wir müssen den Risikostrukturausgleich reformieren, um Fehlanreize zu beseitigen. Es sollten die wirklich schweren und teuren Krankheiten stärker gewichtet werden als heute und die sehr häufigen, im Einzelfall aber nicht so kostspieligen Erkrankungen etwas weniger stark berücksichtigt werden. Zudem müssen Ärzte mehr fürs Sprechen mit den Patienten bezahlt werden. Das mindert den Druck, überflüssige Behandlungen vorzunehmen.

Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?

Baas Das ist ein dickes Brett. Eine Kassenart profitiert enorm von dem aktuellen System und möchte es beibehalten. Aber der Kampf für eine Reform ist im Interesse der Patienten und Beitragszahler.

Bei der Rentenversicherung diskutiert man gerade über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Wäre das ein Weg für die GKV?

Baas Nein, anders als bei der Rentenversicherung haben die gut verdienenden Kassenpatienten eine Alternative — sie können in die private Krankenversicherung wechseln. Und dann ist für die Beitragseinnahmen nichts gewonnen. Außerdem steigen in der Renten- anders als in der Krankenversicherung mit höheren Beiträgen ja auch die Leistungsansprüche. Für 2017 hat die Bundesregierung die Bemessungsgrenze leicht erhöht. Das passiert jährlich auf der Grundlage klarer gesetzlicher Regelungen. Basis ist die Entwicklung der Bruttolöhne.

(anh)
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