Berlin Jugend hat keine Lust aufs Gründen

Berlin · Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt gravierend verändern. Das wissen auch die deutschen 18- bis 30-Jährigen.Start-ups wollen sie trotzdem nicht gründen, zeigt eine Studie: Begründung: Zu stressig und nicht familienfreundlich.

Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs beschäftigte der Fotokonzern Kodak rund 140 000 Mitarbeiter und war 28 Milliarden Dollar wert. Als der Fotodienst Instagram 2012 von Facebook für eine Milliarde Dollar übernommen wurde, beschäftigte das Start-up zwölf Mitarbeiter. Kodak musste Insolvenz anmelden. "Dabei werden heute in zwei Minuten mehr Fotos gemacht, als im ganzen 19. Jahrhundert", sagt Mark Speich, Geschäftsführer des Vodafone-Instituts für Gesellschaft und Kommunikation. Kodak gilt als perfektes Beispiel für die Auswirkungen der Digitalisierung auf Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze.

Doch bei den jungen Deutschen ist diese Entwicklung offenbar noch nicht angekommen: Sie suchen ihr Studienfach lieber nach Interesse statt Zukunftsperspektive aus und haben keine Lust, Start-ups zu gründen, weil sie Zeit für ihr Privatleben haben wollen und es ihnen zu stressig ist. Das zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter 18- bis 30-Jährigen in sechs EU-Ländern. "Vielleicht fühlen sich die jungen Deutschen etwas zu wohl", warnt David Deissner vom Vodafone-Institut, das die Umfrage in Auftrag gegeben hatte.

Während viele junge Italiener und Spanier angesichts der wirtschaftlichen Probleme in ihren Ländern die digitale Wirtschaft und das Gründen von Start-ups als Chance sehen, haben die jungen Deutschen darauf nur wenig Lust. Zwar sind auch sie sich bewusst, dass es in Zukunft vermutlich weniger Jobs geben wird -dass diese Entwicklung jedoch auch sie selbst betreffen könnte, scheint nicht allen klar zu sein. 66 Prozent der jungen Deutschen sind optimistisch, in Zukunft einen Beruf entsprechend ihrer Ausbildung zu finden. Nur 13 Prozent der Befragten sahen ihre Zukunft in der digitalen Wirtschaft. In Tschechien, Italien oder Spanien sind es 35 Prozent oder mehr.

Auch in Deutschland sind die jungen Menschen zwar mit dem Internet groß geworden, die neue Technik nehmen sie aber nicht nur als Chance, sondern auch als Belastung wahr: Das Gefühl, dass das Leben durch die Digitalisierung schneller und stressiger geworden ist, ist hierzulande deutlich ausgeprägter als in den anderen untersuchten europäischen Ländern. Die Hälfte der Befragten ist außerdem davon überzeugt, dass die eigenen Stärken eher in einem anderen Bereich liegen. In anderen Ländern traut man sich viel mehr zu. Das könnte für Deutschland zum Problem werden.

Aktuell sind die Perspektiven am Arbeitsmarkt durch die stabile konjunkturelle Lage zwar noch relativ gut. Und durch den demografischen Wandel, prophezeien einige Arbeitsmarktexperten, werden sich die Unternehmen künftig noch stärker um die jungen Fachkräfte bemühen müssen.

Doch gleichzeitig schreitet die Digitalisierung der Gesellschaft immer weiter voran. Viele Berufe könnten dabei schon bald verschwinden. So prophezeiten Forscher der Universität Oxford in einer Studie zuletzt, dass in den USA innerhalb der nächsten 20 Jahre beinahe jeder zweite Arbeitsplatz durch Roboter und Algorithmen ersetzt werden könnte. Gleichzeitig entstehen zwar auch neue Jobs, doch für die werden andere Fähigkeiten nötig sein. "In der digitalen Welt stehen die besten deutschen Talente noch stärker in Konkurrenz zu denen aus den USA und Asien", sagt Jochen Kluve, Professor für Arbeitsmarktökonomie an der Berliner Humboldt-Universität.

Zuletzt hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel daher vorgeschlagen, Programmiersprachen an Schulen zu lehren. Aktuell ist Informatik nur in drei Bundesländern Pflichtfach. NRW gehört nicht dazu. Julia Manske von der Stiftung Neue Verantwortung, die von Vodafone unterstützt wird und sich mit der Digitalisierung beschäftigt, fordert ein Pflichtfach Digitalkunde: "Nur weil Schüler ein iPad bedienen können, heißt es nicht, dass sie die digitale Welt auch verstehen."

(RP)
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