Klaus Müller im Interview "Chancen für TTIP stehen 50 zu 50“

Berlin · Klaus Müller ist der oberste Verbraucherschützer in Deutschland. Der 43-Jährige empfängt in seinem Büro, nicht weit vom Checkpoint Charlie in Berlin Mitte. Alle politischen und wirtschaftlichen Themen, die die Verbraucher betreffen, landen auf Müllers Schreibtisch. Dementsprechend breit ist sein Verband aufgestellt.

 Klaus Müller sprach mit unserer Redaktion.

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Foto: Hans-Juergen Bauer

Herr Müller, sorgen Sie sich angesichts der Zuspitzung der Griechenland-Krise um den Euro?

Klaus Müller Nein, aber uns machen die Nebenwirkungen der Krise Sorgen. Die anhaltende Niedrigzinsphase ist zwar angenehm für Immobilienkäufer, sie erschwert aber die private Altersvorsorge.

Wie sollten sich Verbraucher angesichts der Gefahr einer neuen Euro-Krise verhalten?

Müller Verbraucher sollten sich vor allem nicht verunsichern lassen, zum Beispiel durch dubiose Produkte auf dem Grauen Kapitalmarkt, die hohe Renditen versprechen und das Risiko verschweigen. Den Wechselkurs sollte man bei seiner Urlaubswahl im Auge behalten.

Werden Verbraucher wirksam durch das neue Kleinanlegerschutz-Gesetz vor dubiosen Geldanlage-Anbietern geschützt?

Müller Das Gesetz ist ein Fortschritt, weil z.B. der kollektive Verbraucherschutz als zusätzliches Aufsichtsziel verankert und die Gültigkeit von Verkaufsprospekten auf zwölf Monate begrenzt wird. Aber die Veröffentlichung von Warnhinweisen durch die Finanzaufsicht bleibt nur eine Kann-Bestimmung und die Verbraucher sollen erneut mit ihrer Unterschrift bestätigen, dass sie alle Risiken zur Kenntnis genommen haben. Das ist unsinnig.

Die Finanzaufsicht Bafin wird künftig auch für den Schutz kollektiver Verbraucherschutzinteressen zuständig sein. Wie werden Sie dieses Recht nutzen?

Müller Die Koalition hat den Aufbau einer verbraucherorientierten Marktbeobachtung — den Finanzmarktwächter — beschlossen. Das heißt, wenn uns zum Beispiel jemand in der Verbraucherberatungsstelle Düsseldorf oder zukünftig im Internet auf besonders dreiste Kontogebühren hinweist, können die Verbraucherzentralen das überprüfen und wir melden das dann gesammelt der Bafin.

Vor einigen Tagen sind die TTIP-Verhandlungen sind in die nächste Runde gegangen. Sollte sich Kanzlerin Merkel mehr für das Freihandelsabkommen engagieren?

Müller Das ist ein zweischneidiges Schwert, weil ja die EU-Kommission mit den Amerikanern verhandelt, nicht die Kanzlerin. Ich bin aber der Meinung, dass wir in Deutschland eine wesentlich intensivere Diskussion brauchen. Deshalb sollten sich auch die Kanzlerin und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vehement für ein Freihandelsabkommen einsetzen, dass für den Verbraucher- und Umweltschutz Vorteile bringen würde.

Was ist für Sie, mit Blick auf den aktuellen Verhandlungsstand, das problematischste Thema?

Müller Problematisch ist, dass wir eben nicht nur über Zölle, Steuern — also tarifäre Handelshemmnisse reden. Diese wären verzichtbar, weil sie für Verbraucher nur mehr Kosten bedeuten. Daher bin ich als Verbraucherschützer auch nicht per se gegen Freihandel. Aber das Problem bei TTIP ist, dass auch über andere vermeintliche "Handelshemmnisse" geredet wird.

Haben Sie ein Beispiel?

Müller Nehmen Sie die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Der US-amerikanische Republikaner und Vorsitzende des Haushaltsausschusses Paul Ryan hat erst vor wenigen Tagen in einer Rede deutlich gemacht, dass er gerade die Label für Lebensmittel in Europa für Handelshemmnisse hält. Es gibt einen klaren Angriff auf unser System der Kennzeichnung. Den europäischen Verbrauchern würde, wenn sich die USA durchsetzen, ein Teil ihrer Freiheit genommen werden. Zum Beispiel zu erkennen, ob etwa Gentechnik oder hormonbehandeltes Fleisch in den Produkten enthalten sind.

Aber Ryan könnte doch nur für eine Einzelmeinung stehen, die amerikanischen Verhandlungsprotokolle sind schließlich nicht öffentlich.

Müller Richtig ist, dass nur die europäische Seite ihre Verhandlungspositionen mittlerweile transparent macht. Aber wir hören, dass für die amerikanischen Verhandlungsführer die Beseitigung aller Handelshemmnisse wichtig ist, die nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Würde sich dieses Nachsorgeprinzip auch bei uns durchsetzen, wäre etwa im Lebensmittelbereich alles erlaubt, bis die Wissenschaft Gefahren nachweisen kann. Das ist ein erheblicher kultureller Unterschied zu uns, weil wir uns vor Dingen schützen, solange nicht ihre Ungefährlichkeit nachgewiesen ist. Ich glaube nicht, dass diese unterschiedlichen Philosophien zusammenpassen.

Hat TTIP also noch Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss?

Müller Ich denke die Chancen stehen bei 50 zu 50. Deshalb muss man TTIP deutlich korrigieren, um es zu retten.

TTIP mal beiseite: Glauben Sie denn, dass die Deutschen wirklich anders einkaufen würden, wenn sie besser über Produkte und deren Inhalte aufgeklärt wären?

Müller Viele Landwirte klagen zu Recht, dass die meisten deutschen Verbraucher bei Lebensmitteln vor allem auf den Preis achten. Ich bin überzeugt, dass das auch daran liegt, dass Handel und Landwirtschaft Lebensmittel stets als tiptop in Ordnung anpreisen. Letztlich fällt es in deren Verantwortung, einen reinen Preiswettbewerb befeuert zu haben.

Was muss sich ändern?

Müller Wir schlagen vor, dass künftig einheitlich auf der Packungsvorderseite die wichtigsten Informationen zu den Zutaten des Lebensmittels zusammengefasst werden. Dann können Verbraucher in den wenigen Sekunden, die sie für die jeweiligen Kaufentscheidungen im Supermarkt benötigen, die Unterschiede der Produkte am besten erkennen. Denn eigentlich sollten der Handel und die Landwirte ja ein Interesse daran haben, dass die Verbrauchertäuschung aufhört. Das merken wir aber bisher viel zu wenig.

Wie stehen Sie zu der Kennzeichnung von sozialverträglich hergestellten Textilien?

Müller Der Handel, die Hersteller oder die Politik haben die Aufgabe, ein einziges, verlässliches Siegel zu schaffen. Ich denke, dass es am Ende auf ein Label mit verschiedenen Qualitätsstufen hinauslaufen wird, etwa einem Bronze- bis Gold-Standard. Die Ziele, die zuletzt etwa Bundesentwicklungsminister Gerd Müller formuliert hat, halte ich für richtig. Deswegen haben wir uns als Verband dem Bündnis des Ministers angeschlossen. Wir erwarten aber überprüfbare Fortschritte.

Kommen wir zum Gesundheitssektor: Dort plant die Bundesregierung ein Anti-Korruptionsgesetz. Was erwarten Sie sich davon?

Müller Für Verbraucher ist der Gesundheitsmarkt ein besonders schwieriges Terrain. Denn kaum jemand ist in der Lage, die Verhältnismäßigkeit bestimmter Behandlungen oder die Kostenaufstellungen einschätzen zu können. Durch die Abrechnungen über das Kassensystem bleiben den Patienten viele Kontrollmöglichkeiten vorenthalten. Insofern ist die Gefahr, dass sich geschäftstüchtige Ärzte bereichern, immer gegeben. Ein solches Gesetz ist also überfällig.

Werden Versicherte überhaupt vor geschäftstüchtigen Ärzten geschützt?

Müller Bisher zu wenig. Besonders das Feld der privaten Zuzahlungen für bestimmte Leistungen ist enorm weit, manche Dinge sind schlicht überteuert, andere womöglich sogar schädlich. Ich muss leider feststellen, dass sich der edle Berufsstand der Mediziner bei vielen niedergelassenen Ärzten weg vom heilenden hin zum geschäftlichen Ansatz entwickelt hat. Das ist im Zweifel teuer für die Patienten.

Was kann man als Patient tun?

Müller Auf keinen Fall sollte man sich lediglich auf Werbeaussagen verlassen. Für die sogenannten IGEL-Zusatzleistungen sollten sich Patienten einen Kostenvoranschlag geben lassen, um Preise vergleichen zu können und auch bei der Krankenkasse nachfragen zu können. Und nicht zuletzt geben die Kollegen der Verbraucherzentralen — zum Beispiel unter www.igel-aerger.de - Unterstützung.

Als Verband sind Sie für viele Themen zuständig. Was halten Sie davon, dass die geplante Änderung der Makler-Richtlinien derzeit offenbar massiv von Lobbyisten torpediert wird?

Müller Ich halte es für eine Frechheit, dass in Deutschland Mieter für eine Leistung zahlen müssen, die ein Vermieter bestellt. Ein solch dreistes Prinzip ist wahrscheinlich einzigartig auf dem Markt. Deswegen ist es völlig richtig, dass künftig die Regel gelten soll: Wer bestellt, der bezahlt. Natürlich wird damit ein Schrumpfprozess bei den Maklern einhergehen. Und am Ende wird es vielleicht weniger von ihnen, aber hoffentlich auch deutlich bessere geben. Denn fest steht doch, dass es in Deutschland durchaus den Bedarf gibt, gerade angesichts des angespannten Immobilienmarktes in den Großstädten. Das gilt nicht nur für Mieter sondern auch für Immobilienkäufer. Und verflixt nochmal: Das Besteller-Prinzip wäre auch für die Makler eine Chance, ihr durchaus zweifelhaftes Image aufzubessern.

Jan Drebes und Birgit Marschall führten das Interview.

(mar)
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