Essen Klima-Klage beunruhigt Wirtschaft

Essen · Überraschend ordnet das Oberlandesgericht die Beweisaufnahme zur Klimaklage eines peruanischen Bauern an. Umweltschützer sprechen von einem "historischen Durchbruch". RWE hält die Klage für unbegründet.

Klimaschützer jubeln, Industriemanager fassen sich an den Kopf: Überraschend hat das Oberlandesgericht Hamm gestern die Beweisaufnahme im Verfahren von Saúl Lliuya gegen RWE angeordnet. Damit hat der peruanische Bauer einen Teilerfolg erzielt. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Essen seine Klage noch als unbegründet abgewiesen.

Saúl Lliuya fordert von dem deutschen Stromriesen 17.000 Euro für Schutzmaßnahmen gegen das Überlaufen eines Gletschersees oberhalb seiner Heimatstadt Huarez, die 450 Kilometer nördlich von Lima liegt. Ursache für das Schmelzen des Gletschers sei der Klimawandel, den RWE mit seinen Kohlekraftwerken mitverursacht habe. Lliuya hat bereits 6400 Euro für Hochwasserschutz ausgegeben.

Die Umweltschutzorganisation Germanwatch, die den Peruaner unterstützt, sprach von einem "historischen Durchbruch" mit globaler Bedeutung: "Erstmals hat ein Gericht bejaht, dass prinzipiell ein privates Unternehmen für seinen Anteil an der Verursachung klimabedingter Schäden verantwortlich ist." Lliuyas Anwältin Roda Verheyen sagte: "Schon der Einstieg in die Beweisaufnahme schreibt ein Stück Rechtsgeschichte." Das zeige, dass Großemittenten von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2) für Schutzmaßnahmen gegen Klimaschäden zur Verantwortung gezogen werden können.

Tatsächlich betont das Gericht: Auch wer rechtmäßig handele, müsse für von ihm verursachte Eigentumsbeschränkungen haften. Die Richter in Hamm nannten die zivilrechtliche Klage zulässig und schlüssig begründet. Denn der Peruaner argumentiert so: Da die RWE AG für 0,47 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sei, müsse sie auch 0,47 Prozent seiner Ausgaben für Schutzmaßnahmen tragen.

Nun soll die Beweisaufnahme klären, ob das Haus des Klägers tatsächlich durch eine Gletscherflut bedroht ist und inwieweit der Essener Konzern mit seinen Emissionen für die drohenenden Schäden verantwortlich ist. Für die Richter steht aber bereits fest, dass der Mitverursachungsanteil von RWE mess- und berechenbar ist. Nun sollen Gutachter klären, ob der Verursachungsanteil richtig beziffert ist.

Der Energiekonzern hält die Klage für unbegründet: "Nach dem deutschen Zivilrecht kann ein einzelner Emittent nicht für allgemein verursachte und global wirkende Vorgänge wie den Klimawandel haftbar gemacht werden." Für die Treibhausgas-Emissionen gebe es schließlich viele Verursacher: natürliche und "anthropogene". Tatsächlich verursachen neben der gesamten Industrie auch der Verkehr und die Beheizung der Häuser CO2-Emissionen. Weiter betonte der Konzern, man senke den eigenen Ausstoß nachhaltig, man habe neue Anlagen gebaut und dafür alte stillgelegt.

Für RWE geht es bei dem Verfahren nicht ums Geld, sondern ums Prinzip: Ein außergerichtlicher Vergleich mit Saúl Lliuya wäre womöglich schnell und günstig erreicht, könnte aber eine Klagewelle nach sich ziehen. Mit gleichen Erfolgsaussichten wie der Peruaner könnten auch Bürger der Fiji oder aus Bangladesch klagen.

Die Wirtschaft ist besorgt. Sollte Saúl Lliuya recht bekommen, drohen anderen CO2-intensiven Betrieben wie Stahlwerken und Aluhütten ebenfalls Klagen. "Bei einem so komplexen Prozess wie dem Klimawandel unternehmensscharf Verantwortung zuweisen zu wollen, wird der Herausforderung nicht gerecht", warnte Stefan Kapferer, Chef des Branchenverbands BDEW. Die Weltgemeinschaft habe sich in Paris auf verbindliche Klimaziele geeinigt, zu denen sich auch die Energiewirtschaft bekenne. Derzeit würden die Verfahren definiert, mittels derer die Ziele erreicht würden.

Das NRW-Wirtschaftsministerium erklärte, man wolle das laufenden Verfahren nicht kommentieren. Das wird sich wegen der absehbaren Gutachter-Schlacht hinziehen. Das weiß auch Saúl Lliuya. "Ab jetzt geht es darum, den Beitrag von RWE zum Gletscherschwund in Peru auch zu beweisen. Das wird noch ein langer Weg", ließ er aus Peru wissen. "Aber als Bergsteiger bin ich lange, steinige Wege gewohnt."

(anh)
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