Interview mit dem Chef des AOK-Bundesverbandes "Kliniken nach Qualität bezahlen"

Berlin · Der Chef des AOK-Bundesverbandes Jürgen Graalmann will Anreize setzen, dass Kliniken sich stärker spezialisieren. Davon verspricht er sich eine bessere Qualität bei Operationen. Die Einführung einer Bürgerversicherung hält er für nicht prioritär.

Entscheidungshilfen: Selbst zahlen, oder nicht?
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Foto: dpa, Patrick Pleul

Wann kehren die Zusatzbeiträge zurück?

Graalmann Wir haben im Gesundheitswesen völlig andere Probleme als über das Thema Finanzierung zu reden. Wir haben ausreichend Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich bin davon überzeugt, dass 2014 Zusatzbeiträge kein Thema sind. Wir müssen vielmehr vor dem Hintergrund der guten Finanzlage die Strukturen der Versorgung verbessern.

Welche Baustellen sehen Sie da?

Graalmann Die Krankenhauslandschaft muss unter Qualitätskriterien neu geordnet werden, wir brauchen zwingend eine umfassende Pflegereform und das Verhältnis von gesetzlicher und privater Krankenversicherung muss neu justiert werden.

Heißt Neujustierung, dass Sie für eine Bürgerversicherung sind?

Graalmann Ich erwarte keine Prioritätensetzung, die das Thema Einführung einer Bürgerversicherung und Finanzierung des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt der Gesundheitspolitik stellt. Vielmehr geht es darum, mehr Wettbewerb und Wahlfreiheit zu ermöglichen. Das heißt, dass die PKV ihren Versicherten die Möglichkeit wird bieten müssen, die Altersrückstellungen bei einem Versicherungswechsel mitzunehmen und dass es in einem weiteren Schritt das Angebot an die Privatversicherten gibt, in die gesetzliche Krankenkasse zu wechseln. Ich bin mir sicher, dass wenn wir das System öffnen, jeder dritte Privatversicherte sofort in eine gesetzliche Krankenkasse wechseln wird.

Wie wollen Sie die Qualität bei den Krankenhäusern verbessern?

Graalmann Das kann über finanzielle Anreize gelingen. Wir bezahlen heute alle Krankenhäuser gleich, wissen aber, dass die Kliniken sehr unterschiedliche Qualität bieten, beispielsweise bei künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Da gibt es Komplikationsraten zwischen drei und 30 Prozent.

Wollen Sie den Kliniken mit den 30-Prozent-Komplikationsraten weniger Geld zahlen?

Graalmann Denen will ich gar kein Geld mehr zahlen. Hüft- und Knieoperationen sollen künftig nur noch die Krankenhäuser machen, die dies auch gut können.

Und die anderen Kliniken sollen dicht machen?

Graalmann Nein, aber wir wollen klare Anreize setzen, dass die Krankenhäuser in Qualität investieren und sich auf das konzentrieren, was sie wirklich gut können. Eine Klinik kann sich auf Gynäkologie, die nächste auf Onkologie konzentrieren. Es muss nicht jedes Krankenhaus jede Operation und jede Therapie anbieten.

Haben wir zu viele Krankenhäuser in Deutschland?

Graalmann Am Ende des Tages wird es auch Kliniken geben, die gänzlich vom Markt verschwinden. Grundsätzlich haben wir aber nicht zu viele Krankenhäuser, sondern zu viele Krankenhausbetten. Wichtig ist, dass wir eine wohnortnahe Notfallversorgung behalten, auch stationär.

Müssen die Patienten nach Ihren Plänen längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen?

Graalmann Für die vier Indikationen Hüfte, Knie, Gallenblase und Herzkatheter messen wir bundesweit die Krankenhäuser nach Ergebnisqualität. Wenn man nun die Kliniken, die unterdurchschnittliche Qualität bieten, rausnimmt, dann müssten die Patienten im Durchschnitt zwei Minuten länger fahren.

Die Politik sorgt sich, dass bei einem solchen System, die Macht der Krankenkassen übergroß wird und nicht mehr alle Menschen die Operationen erhalten, die sie medizinisch benötigen.

Graalmann Es liegt doch in unserem ureigenen Interesse, dass unsere Patienten das bekommen, was sie benötigen. Außerdem wird die Politik immer den Rahmen setzen müssen. Wir sollten aber wegkommen von den Operationen, die aus ökonomischen Gründen gemacht werden. Deutschland ist Operationsweltmeister. Wir müssen dringend die Chefarztverträge ändern, wonach Boni für Mengen gezahlt werden können. Die müssen nach Qualität und nicht nach Menge bezahlt werden.

Waren die Honorarsteigerungen der niedergelassenen Ärzte in den vergangenen Jahren angemessen?

Graalmann Die ärztlichen Honorare sind allein im ersten Halbjahr dieses Jahres um zehn Prozent gestiegen. Ich zahle gerne gutes Geld für Leistungen, die am Ende auch beim Patienten ankommen. Die Ärzte sollten sich fragen, ob da nicht noch mehr machbar ist.

Wie wollen Sie die Ärzte dazu bringen, mehr Leistung zu erbringen?

Graalmann Es wäre sinnvoll, Qualitätskriterien auch in die Honorarverhandlungen mit den niedergelassenen Ärzten einzubeziehen. Wir müssen viel konkretere Ziele mit den Ärzten vereinbaren, was sie für ihre Honorare leisten. So sollten Ärzte, die eine Honorarsteigerung erhalten, sich im Gegenzug beispielsweise verpflichten, ihren Patienten in einem bestimmten Zeitraum einen Termin anzubieten. Das sollte dann auch vertraglich festgehalten werden. Denn sonst tut sich nichts.

Eva Quadbeck führte das Interview.

(qua)
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