Langzeitarbeitslosigkeit "Jobverlust im Alter wird zunehmend zu einer Falle"

Gütersloh · Im EU-Vergleich sind Langzeitarbeitslose in Deutschland älter und besonders lange ohne Stelle. Die Grünen werfen der Bundesregierung vor, Arbeitslose über 55 Jahre "abzuschreiben" und zu vernachlässigen.

Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen sind seit mehr als zwei Jahren ohne Arbeit, mehr als ein Viertel von ihnen ist älter als 55 Jahre, wie eine am Freitag veröffentlichte Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergab. EU-weit sind nur 13 Prozent Langzeitarbeitslose in dieser Altersklasse.

"Jobverlust im Alter wird in Deutschland zunehmend zu einer Falle, aus der sich die Betroffenen nicht befreien können", erklärte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Laut der Vergleichsstudie von Economix Research & Consulting, die auf Daten der Europäischen Arbeitskräfteerhebung basiert, spielt nicht nur das Alter, sondern auch die Qualifizierung eine entscheidende Rolle: So ist fast jeder dritte Langzeitarbeitslose hierzulande gering qualifiziert. Hinzu kämen weitere Hemmnisse wie gesundheitliche und soziale Einschränkungen.

Insgesamt sind 2015 laut Studie 796.000 Menschen hierzulande ein Jahr oder länger arbeitslos gewesen, womit sie zur Gruppe der Langzeitarbeitslosen zählen. Deutschland ist dabei zwar das einzige EU-Land, indem die Langzeitarbeitslosenquote seit der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich gesunken ist - von 3,7 Prozent im Jahr 2008 auf 1,9 Prozent in 2015. Grund für den Rückgang der Quote ist laut Studie aber vor allem die seit 2012 gestiegene Gesamtbeschäftigung. Knapp ein Drittel aller Arbeitssuchenden war den Angaben zufolge 2015 bereits länger als zwei Jahre erwerbslos. Langzeitarbeitslose hätten also "nur unterdurchschnittlich von der positiven Arbeitsmarktentwicklung profitiert".

In der gesamten EU waren 2015 mehr als zehn Millionen Menschen langzeitarbeitslos. Am höchsten war der Stand in Griechenland, gefolgt von Spanien und Kroatien. Niedriger als in Deutschland war die Quote in Großbritannien, Schweden, Luxemburg, Dänemark und Österreich.

Besonders Frauen betroffen

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer hat der Bundesregierung vorgeworfen, Arbeitslose über 55 Jahre "abzuschreiben" und zu vernachlässigen. Die Chancen von älteren Arbeitslosen auf eine Förderung seien deutlich geringer als die der Arbeitslosen insgesamt, kritisierte Pothmer in einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Besonders betroffen seien Frauen.

Die Grünen-Politikerin verwies auf Angaben des Bundesarbeitsministeriums, wonach die sogenannte Aktivierungsquote insbesondere bei Arbeitslosen ab 55 Jahren rasant auf 10,8 heruntergeht. Für Arbeitslose ab 60 Jahren stelle sich die Lage nochmals deutlich schlechter dar. Die Aktivierungsquote für diese Altersgruppe liegt danach bei gerade einmal 6,7 Prozent. Die Quote gibt an, wie hoch der Anteil von Arbeitslosen ist, die sich in einer Fördermaßnahme befinden. Insgesamt sind dies durchschnittlich 16,3 Prozent.

Pothmer forderte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf, ältere Arbeitslose nicht länger "aus der Statistik und in die Rente zu drängen". Die Ministerin könne nicht längere Lebensarbeitszeiten propagieren und gleichzeitig bei der Förderung geizen. "Wer bei der Arbeitsförderung schon 55-Jährige abschreibt, braucht von der Rente mit 67 nicht zu reden. Notwendig sind mehr Investitionen in Qualifizierungen und andere Maßnahmen", forderte die Grünen-Politikerin. Daten der Bundesagentur zeigten, dass richtig geförderte Ältere genauso große Chancen auf Arbeit wie jüngere Arbeitslose haben.

(felt/AFP/KNA)
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