Premierminister Valls wirbt um Unterstützung Frankreich verbittet sich deutsche Ratschläge

Berlin · Premierminister Manuel Valls verteidigt vor der deutschen Industrie die Verschiebung des französischen Defizitziels. Paris wolle aber sparen und Reformen umsetzen. Aus Sicht Deutschlands tut Frankreich aber immer noch viel zu wenig.

Manuel Valls: Frankreich verbittet sich deutsche Ratschläge
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Der französische Premierminister Manuel Valls hat vor der deutschen Wirtschaft um mehr Unterstützung für seine sozialistische Regierung und ihren geplanten Reformkurs geworben. Paris wolle in den kommenden drei Jahren 50 Milliarden Euro einsparen, die Steuerlast der Unternehmen um 40 Milliaden Euro senken und eine große Verwaltungsreform auf den Weg bringen. Das Programm sei "revolutionär", sagte Valls vor Wirtschaftsvertretern beim Tag der deutschen Industrie in Berlin. Von den Reformen werde auch die deutsche Wirtschaft profitieren. Paris brauche von außen keine Ratschläge.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone ist das neue Sorgenkind Nummer eins in Europa, weil die Wirtschaft in Frankreich nicht mehr wächst, die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharrt und das Land die Defizitkriterien des EU-Stabilitätspakts nicht erfüllen kann. Frankreich wird das Drei-Prozent-Defizitziel der EU auch 2015 und 2016 verfehlen. Die EU-Kommission prüft daher ein Defizitverfahren gegen Frankreich, das in hohe Strafzahlungen münden könnte. Allerdings ist unwahrscheinlich, dass es wirklich dazu kommt, denn Strafzahlungen würden die Probleme Frankreichs nur weiter vertiefen.

Valls forderte in Berlin auch die Unterstützung der Bundeskanzlerin gegenüber der Brüsseler Kommission ein. Doch Angela Merkel ließ wie schon am Montag auch gestern beim Tag der Industrie keine Bereitschaft erkennen, den Spar- und Reformdruck auf Frankreich zu verringern. "Die Lehre aus der Euro-Krise muss sein, dass wir unsere Verabredungen einhalten", sagte sie. Deshalb werde Deutschland hier auch Verlässlichkeit einfordern. Selbst bei drei Prozent Verschuldung sei "man weit entfernt davon, nicht auf Kosten der Zukunft zu leben".

Aus deutscher Sicht gehen zudem die geplanten Reformen längst nicht weit genug, denn bei Rente und Arbeitsmarkt verzichtet Paris auf notwendige Veränderungen. So soll das Renteneintrittsalter bei nur 62 Jahren verharren. Zudem wird die umstrittene 35-Stunden-Woche nicht weiter gelockert und der staatliche Mindestlohn ("Smic") von derzeit 9,53 Euro pro Stunde bleibt unangetastet. Der "Smic" gilt als eine wichtige Ursache der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich.

Die Reformagenda 2010 von Gerhard Schröder in der ersten Hälfte der 2000er Jahre wird auch in Frankreich als wichtige Voraussetzung für den damaligen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft gesehen. Das deutsche Wirtschaftsmodell mit seinem höheren Industrie- und Exportanteil und geringeren Staatsanteil, seiner dezentraleren Lohnfindung und dem dualen Ausbildungssystem wird auch in Frankreich oft als überlegen akzeptiert.

Valls betonte, Schröders Reformagenda sei auf das heutige Frankreich nicht eins zu eins übertragbar. Seine Regierung werde aber kommende Woche das ehrgeizigste Sparprogramm in der Geschichte des Landes durch das Parlament bringen. Paris könne jedoch nicht in nur einem Jahr 50 Milliarden Euro sparen, das sei weder technisch möglich noch sozial oder wirtschaftlich vernünftig. So viel müsste Frankreich aber sparen, wollte es bereits 2015 das Drei-Prozent-Kriterium einhalten. Daher brauche Frankreich mehr Zeit für den Defizitabbau. Das Defizitziel werde aber nicht aufgegeben. "Wir sind in einer Verschuldungsspirale, die nicht mehr haltbar ist", gestand der Premier ein.

Oft werden in Frankreich Vorwürfe laut, die deutsche Industrie konkurriere die Nachbarn in Grund und Boden. Doch Deutschland trage keine Verantwortung für die Probleme Frankreichs, sagte Valls. Er reagierte damit auf Ulrich Grillo, den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Grillo hatte zuvor erklärt: "Deutschland ist nicht Schuld an den strukturellen Problemen der französischen Volkswirtschaft - und auch nicht in der Verantwortung, diese Probleme zu lösen."

(mar)
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